Grete sitzt auf ihrem Stuhl in der Küche. Sie trägt ein dunkelblaues Etuikleid, daß schon bessere Zeiten gesehen hat, darunter ein schwarzes Langarmshirt und dunkle Strumpfhosen. Ihre Füße sind in dicke Pantoffeln gepackt.
Ihre fast schwarzen Haare trägt sie akkurat zum Zopf gebunden und ein langer Pony fällt ihr in die Stirn.
Wenn sie blinzelt, zuckt ihre linke Gesichtshälfte. Eine große Narbe, die quer über ihre Wange verläuft, zeugt von einem Unfall. Bei der Verletzung wurden Gesichtserven durchtrennt, die nun bei jedem Augenaufschlag irritierte Signale an alle Wangenmuskeln schicken. Wenn sie lacht, lacht nur ihre rechte Gesichtshälfte. Die linke kann es nicht mehr.
Grete ist oft in ihrer Küche. Dort steht sie dann, vor ihren ordentlich eingeräumten Hängeschränken.
Zielsicher fischt sie den Filter, das Papier und Geschirr heraus und stellt es vor sich hin. Immer in der gleichen Reihenfolge, immer die gleichen Dinge.
Ihre Bewegungen sind nicht schnell, aber eingespielt. Wenn ein Papierchen aus dem kleinen Karton mit dem Filterpapier schaut, dann schiebt sie es zurück, so dass nichts knickt.
Manchmal brüht sie sich auch Kaffee auf und läßt ihn stehen. Dann sitzt sie da, hält sich den Bauch und schaut auf den weniger werdenden Dampf. Grete hält sich oft den Bauch.
Dann und wann steht sie vor dem Spiegel und betrachtet sich mit gerunzelter Stirn von der Seite.
Auf ihrer sonst schlanken Silhouette zeichnet sich dann eine kleine Wölbung ab. Grete legt ihre Hände sanft darauf, wie eine Schwangere. Sie betrachtet sich, mehrere Minuten, dann schüttelt sie genervt den Kopf und verläßt den Spiegel.
Beim Gehen zieht sie ihren linken Fuß nach. Dieser ist gelähmt und sie kann ihn nicht heben. Wenn sie so durch ihre Wohnung schlappt, heben sich ihre Füße kaum vom Boden, sie schlurft mit ihren achtundzwanzig Jahren mehr wie eine alte Oma über das knarzende Parkett.
Grete kellnert in einem kleinen Café in der Nähe ihrer Einzimmerwohnung. Sie bedient die Gäste freundlich, plaudert hier und da mit ihren Kollegen, die ihr meist von wichtig Projekten erzählen, die sie am Start haben. Grete hört zu, nickt interessiert, gibt Tipps und bestärkt sie, ihre Vorhaben umzusetzen.
Von sich selbst erzählt Grete nicht viel. Wenn sie gefragt wird, was sie außer Kellnern mal machen will, muss sie meist schnell zu einem neuen Gast oder etwas abkassieren oder einen Tisch abwischen.
Manchmal geht sie mit ihren Kollegen tanzen. Dann steht sie erst, mit einem Bier in der Hand, an die Wand des Clubs angelehnt. Ihr Kopf wippt kaum merklich zum Takt der Musik. Wer sie genau beobachtet, sieht, daß ihr Gesicht langsam seinen gedrückten Ausdruck verliert. Ihre braunen Augen fangen an zu blitzen und ein paar kleine Fältchen kräuseln sich um sie.
Dann suchen sie Kontakt, Kontakt zu anderen Augen.
Und wenn die Musik lange genug Gretes Geschmack entspricht, dann fängt sie an zu tanzen. Eine Plastikschiene, die sonst eher alte Menschen nach einem Schlaganfall tragen, hält ihren Fuß in einem rechten Winkel. Unter engen Jeans versteckt, erlaubt sie ihr, zu laufen, zu tanzen, zu springen, so wie früher. Gretes Hüften schwingen im Takt, ihre Schultern bewegen sich abwechselnd nach vorne und hinten und ihr Zopf hüpft wild hin und her. Ihr Körper bebt, sie wirft ihre Arme nach oben und sie lacht.
Ihre Kollegen schütteln dann ungläubig die Köpfe, ob der Verwandlung ihrer ruhigen Mitarbeiterin.
Sie tanzen mit ihr, lachen mit ihr, trinken mit ihr.
Wenn ihre Augen netten Kontakt gefunden haben, dann kommt es vor, daß auch ihr Mund diesen aufnimmt. Erst spricht er, dann entströmt ihm ein Lachen, ein festes, freudiges Lachen. Ihre Hände folgen Augen und Mund, sie berühren, sie fassen an. Dadurch angeregt, wird ihr Mund übermütig und küsst. Die Augen verabschieden sich und schließen langsam ihre Lieder. Dann ist nur noch ihr Körper da und nimmt den größten Kontakt auf, stellt seine ganze Fläche zur Verfügung für die innigste aller Berührungen.
Dann wacht Grete nicht allein auf und ihr Lächeln verfliegt erst wieder, wenn sie ihre Tür von innen schließt.
Dann sitzt sie wieder auf ihrem Küchenstuhl und trinkt alleine einen Kaffee.
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