Auf dem runzeligen Ast einer in die Tage gekommenen Buche saß ein kleines Vögelchen und piepste vergnügt vor sich hin.
Es war ein wundersames Kerlchen, mit leuchtend roten Federn und einem drolligen, aber wunderschönen Puschel auf dem Kopf.
Wenn es lief oder oder etwa nickte, dann schwang dieser Puschel sanft umher und sorgte so nebenbei dafür, daß es viel stattlicher wirkte, als es eigentlich war.
Doch jetzt saß es einfach nur da und begrüßte den jungen Tag, der soeben seine schlaftrunkenen Augen öffnete. Bläuliches Zwielicht schob die Nacht Richtung Westen und offenbarte genügsam die Konturen des Waldes.
Zwischen den unzähligen Stämmen waberte verirrter Nebel und konnte im weit verzweigten Grün der Baumkronen seinen Ausgang noch nicht finden.
In dieser vollkommenen Unbeschwertheit versprach der junge Morgen zu einem friedlichen Tag heranzuwachsen, als das plötzliche Stapfen schwerer Stiefel diese Unschuld jäh durchbrach. Feine Äste und getrocknete Blättchen zerbröselten in einem Chor aus Knacken und Krachen und hinterließen eine narbige Spur im Reich des fragilen Bodengewirrs.
Ein großer, schwarzer Schatten näherte sich unaufhaltsam der alten, knorrigen Buche und mit jedem Schritt, der ihren Abstand verkürzte, erklang das eben noch so sorglose Piepen lauter und hektischer.
Mit großen Augen fixierte das Vögelchen die riesige, dunkle Gestalt und sein puscheliger Kopfschmuck zitterte wie Schilf im Wind.
Atmelose Stille knallte schockartig bis in die letzten Wipfel, als die Schritte ein plötzliches Ende direkt vor dem Ast des leuchtend roten Waldbewohners fanden. Vor Schreck und Frucht hopste dieser vom Baum und flatterte davon.
Mit pochendem Herzchen landete das Vögelchen auf einem der höheren, dünneren Äste und blickte angstvoll hinunter.
Die Starre des Entsetzens nahm von ihm Besitz, als schwarz behandschuhte Finger in eine fein säuberlich aufgeschichtete Ansammlung von Zweigen griffen und ein winziges fragiles Vogelei heraus stibitzten.
Es hatte eine cremeweiße Farbe und war so transparent, daß die dünnen Bahnen kleiner roter Adern durchschienen.
Aufgeregt piepste das Vögelchen los und sprang verstört auf und ab. Sein wuscheliger Puschel vibrierte und wogte bei jedem Sprung hektisch hin und her.
Das gequälte Piepsen wurde lauter und flehender, doch die Hand langte schon nach dem zweiten kleinen Ei und lies es ebenfalls in einer Ledertasche verschwinden.
Das Herz des Vögelchens schlug nun so schwindelerregend schnell, daß es drohte zu zerbrechen.
Da bewegte sich die Hand ein drittes mal zum holzigen Nest.
Ein letztes, einsames Ei ruhte noch darin. Unter seiner Schale pulsierte bereits das Leben und wartete nur auf den richtigen Moment sich der Welt zu zeigen.
Doch sein kurzes Schicksal schien besiegelt. Wie eine Dunkle Wolke legte die Hand sein Weiß in Schatten und verschlang es. Da sprang der rote Vogel mit einem grellen Schrei vom Ast und lies sich im Sturzflug direkt auf das glänzende Leder fallen.
Entschlossen warf er seinen Kopf nach vorne und hinten, sodass sein Federschmuck in großen Wellen um ihn herum wallte. Mit immer größeren Bewegungen schüttelte er seinen Körper und stieß dabei glasklare, lang gezogene Pfiffe aus.
Da hielt die Hand inne und bewegte sich nicht mehr.
Der ganze Wald hielt seinen Atmen an und tausend Augen richteten ihren Blick auf die beiden ungleichen Gegner.
Die Sonne schoß ihre ersten roten Strahlen über den Horizont und lies die Erde erglühen.
Erst als sich ihr Licht weiß verfärbte, durchbrach ein kaum wahrnehmbares Klopfen die Stille.
In der Mitte des schwarzen Handschuhs lag leuchtend hell das dritte Ei. Es rollte ein wenig hin und her, dann breitete sich ein feiner Riss quer über die Schale aus und schließlich sprang eine große Ecke weg und ein gelbes Schnäbelchen an einem kleinen, nassen Vogelköpfchen kam zum Vorschein.
Sein erster Schrei erklang bis über die Wipfel der Bäume und drang bis in die hintersten Ecken jeder noch so verhärteten Seele, als es nach seiner Mutter rief.
Der Schatten aber zuckte nur kurz im Echo einer Erinnerung.
Doch als eine zweite Narbe den Weg seines Rückzug preisgab, lugten zwei weiße Ovale durch die Öffnung einer Ledertasche, die wohl jemand auf dem Boden verloren hatte.
Und ein frisch geschlüpftes Küken plumpste etwas unsanft, aber unversehrt zurück ins mollige Nest.
Der Tag hielt, was sein sein Morgen versprochen hatte. Eine wärmende Sonne hing friedlich zwischen aufgeplusterten Wölkchen und die Vögel des Waldes trällerten beschwingt und heiter ihre Weisen. Doch ein Gesang übertraf alle anderen mit seinem schier endlosen Jubel vor Glück.
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