Dienstag, 23. August 2011

Tante Bertas siebzigster Geburtstag.

Es war einer dieser unendlich wichtigen familiären Höhepunkte, an welchem es erforderlich war, dass wir wieder als eine Person mit zwei Körpern herumliefen.
Unsere Mutter ging mit liebevoller, aber kompromissloser Perfektion an diese Sache heran. Sie steckte uns nicht nur in zwei extra zu diesem Anlass neu erstandene dunkelbraune steife Kordkleidchen, mit einem affigen weißen Kragen, der es einem von vornherein verbat sich am üppigen Buffett zu bedienen. Sie vermaß zudem noch penibel den Abstand der Metallklämmerchen, die unsere breiten weißen Haarbänder fixierten, zu unseren Ohren.
Erst als sie absolut sicher war, daß selbst wir nicht mehr merken konnten, ob wir einem Spiegel oder uns selbst gegenüberstanden, war sie einigermaßen beruhigt. Sollte das verstehen, wer will.
Wir glichen uns doch schon sowieso wie ein Ei dem anderen, da wir eineiige Zwillinge waren.
Diese Feier war für uns ein Rückschritt unserer hart erkauften Individualitäten. Nach wochenlangem Betteln während der großen Schulferien, hatten wir durch unsere Penetranz schließlich durchgesetzt, daß wir ab der dritten Klasse endlich in unterschiedlichen Klamotten zur Schule gehen durften.
Johanna trug viel lieber Röcke als ich. Und Strumpfhosen. Mir ziepten und kniffen diese am Po und sobald man mal hin fiel, war ein Riss drin und und Mama schimpfte, weil sie wieder stopfen mußte.
Ein Grund mehr, weshalb ich Hosen bevorzugte, denn Röcke legten an meinen bestrumpften Beinen unzählige Löcher frei, die Mama akkurat genäht hatte und die nun als Hubbel aus Garn zu erkennen waren.
Überall kleine Hügelchen in den blickdichten rosa oder weißen Strumpfhosen. Als hätte ich Masern, oder die Beulenpest.
Johanna bewegte sich eigentlich nur, weil es anders unmöglich war von A nach B zu gelangen. Oder weil man bei dieser Tätigkeit die vorbeiziehende Landschaft bestaunen konnte. So hielt sie oft an, blieb stehen und schaute fasziniert einer Amsel beim Pfützenbad zu. Beobachtend, mit ihren offenen, heiteren Augen, blickte sie in die Welt. Doch sie war nicht melancholisch. Ein zartes Lachen umspielte stets ihre Lippen, als erfreue sie sich permanent an ihrer Umgebung.
Ich dagegen musste meinen Lebensraum körperlich erkunden, ihn mit allen Sinnen erfassen, Bäume erklettern und von ihnen fallen, in der Erde buddeln und dabei ganz schwarze Nägel bekommen.
Während Johanna Blumen optisch studierte und so ihre Farben, ihre Form, ihre Haltung und ihre Bewegung im Wind im Kopf abspeicherte, fasste ich sie an. Ihre glatten oder rauen Stängel, die leicht zu knicken waren, oder biegsam wie Leder und einfach nicht brechen wollten. Samtige Blüten zupfte ich ab und strich über ihre flauschige Oberfläche, Beeren quetschte ich, bis ihre dünne Schale aufplatze und klebriger Saft auf meine Finger tröpfelte.

Und nun Tante Bertas Siebzigster.
Wir waren Mädchen und sollten akkurat, adrett, lieb, brav, sauber, fleißig, gehorsam und entzückend aussehen.
Obendrein waren wir Zwillinge und sollten gleich aussehen. So gleich, daß möglichst niemand uns unterscheiden könnte.
Daß alle Freunde und Verwandte den Kopf schüttelten und sagten: „unglaublich, wie kann denn nur die Mutter die beiden auseinander halten.“
Unser Onkel war Fotograf. Es gab unzählige Bilder von uns. Auf allen sahen wir tatsächlich fast identisch aus.
Und so sehr Johanna und ich uns auch vom Charakter her unterschieden, in einem waren wir uns einig: wir wollten nicht identisch sein.
Onkel Günther manövrierte uns auf die Einfahrt vor seinem Haus. Die Wand hatte er erst vor einer Woche frisch gestrichen und weiße Farbtropfen sprengelten noch den Boden.
Für Schwarzweißfotos sei der Kontrast sehr wichtig, erklärte er uns, deshalb sei dieser Ort ideal für den Fotoband, den er der Familie schenken wollte.
Als eine Woche später unsere Mutter den Abzug aus einem Kuvert mit vielen anderen fischte, sagte sie: „Ach Gott Grete, Johanna lächelt wieder so schön. Was machst du denn nur für ein Gesicht?“
Johanna und ich schauten uns vielsagend an, nahmen uns bei der Hand und setzen uns in einen riesigen Heuballen.
Wir waren nicht identisch, aber wenn uns ein Recht auf eigene Identität abgesprochen wurde, blieb uns nichts anderes übrig, als denen, die die Namen Grete und Johanna als ein Wort verwendetet, zum Narren zu halten.
Denn ich war die, die gelacht hatte und Johanna die, die absichtlich grimmig geschaut hatte. Aber das wußten nur wir.

Mittwoch, 10. August 2011

Aufgehoben

Es sind die Farben, die mich in seinen Bann ziehen.
Sandiges Hellbraun, durchzogen von gelben und orangenen Streifen, leuchtet wunderschön im Kontrast zum schwarzen Boden, auf dem er liegt.
Ich hebe den Stein auf. Seine Oberfläche ist rau und spröde. Wenn ich ein wenig an ihr kratze, rieseln sogleich sandige Körner zu Boden und hinterlassen eine kleine Vertiefung.
Wie ungewöhnlich fragil er doch ist, für einen Stein.
Harte Böen schlagen mir ins Gesicht, verwirbeln meine Haare, zerren an Hose und Jacke und rauben mir die Luft zum Atmen.
Alle Mann weiter, dort hinten ist eine Treppe, da müssen wir runter. Haltet euch gut fest, ist ein bisschen wackelig.“
Unser Professor steht breitbeinig hinter mir und fuchtelt mit seinen Armen Richtung Norden. Von allen Seiten strömen meine Kommilitonen herbei, packen hurtig Zettelchen und Stiftchen, Tabellen und Messgeräte in sichere Taschen und marschieren auf zum Abstieg.
Ich denke darüber nach, wie das Monument, auf dem ich stehe, sich überhaupt bilden konnte. Wie konnte es den Naturgewalten Regen, Hagel, Sturm, Blitz und Donner, wie konnte es diesen gnadenlosen Mächten über so viele Epochen hinweg trotzen?
Welches ist die Kraft, die es im Inneren zusammen hält?
Schwarz ragt es ganz unvermittelt aus der Erde, so riesig, so scheinbar fehl am Platz, umgeben von unschuldig grünen Wiesen, die seine faszinierende Bedrohung nur noch mehr hervorheben.
Kein Wunder, daß hier schon vor Jahrhunderten die Sage entstand, der Teufel selbst habe dieses steinerne Werk erbaut.
Und so verlieh ihm Beelzebub persönlich seinen Namen: die Teufelsmauer.
Doch niemand anderes als die Erde selbst schuf diese herausragende Formation.
Als sich der Harz bildete und durch tektonische Bewegungen die Erdoberfläche zu Bergen machte, stellten sich die Gesteinsschichten an dessen Rand steil auf. Über die Jahrtausende blieben nur die Härtesten stehen und präsentieren sich seid dem stolz und ausdauernd den unzähligen Generationen des Menschengeschlechts.
Mein kleiner vergänglicher und doch so alter Talisman scheint ein Überbleibsel dieser abgetragenen Schichten zu sein. Womöglich war er mal Teil eines riesigen Sandsteinberges, dessen winzig kleine Überreste nun Platz in meiner Hand finden.
Tobias, jetzt komm schon.“ Kurz darauf eilt dieser, noch im Laufen in ein Heftchen kritzelnd, an mir vorbei.
Die Teufelsmauer konnte nur entstehen, weil ihr Sandstein besonders hart ist. Die einzelnen Körner sind so fest miteinander verkittet, dass keine noch so große Katastrophe sie zu trennen vermochte. Anders mein Talisman.
Jeder Regen, jeder Sturm scheint ihm ein wenig zuzusetzen. Wie viele Jahre bräuchte es wohl, bis seine Körner in alle Winde verstreut wären, bliebe er hier liegen?
Jahrhunderte, Jahre, vielleicht sogar nur Wochen oder gar Tage?
Ich sehe meine Kommilitonen und unseren Professor wie eine Wandergruppe weit unter mir auf der grünen Wiese laufen.
An die 20 Mann, dicht beieinander, sie schwatzen und diskutieren, irgendwer hält dem Professor eine Digitalkamera hin, deren Anblick ihn in bebendes Gelächter ausbrechen lässt.
Keiner merkt, daß ich hier stehe. Daß ich nicht dort unten mit ihnen durch das hohe Gras stapfe.
Der Himmel, die ganze Zeit schon von grauen, tiefhängenden Wolken verdeckt, fängt an sich seiner nassen Last zu entledigen.
Dicke Tropfen klatschen auf den sandigen Untergrund und hinterlassen kleine, nasse Dellen.
Bevor ich losrenne, zerre ich mir den Rucksack von den Armen und öffne mit hektischen Händen den Reißverschluss.
Dann hole ich eine Plastiktüte hervor und wickle den kleinen Talisman sorgsam hinein. Er ist noch ganz trocken, doch auf meiner Handinnenfläche bleiben ein paar Sandkörnchen kleben.
Nichts lässt sich aufhalten, selbst die Teufelsmauer wird irgendwann nicht mehr stehen. Doch in guter Umgebung kann man vielleicht ein wenig länger existieren.
Mit diesem Gedanken im Kopf schwinge ich meinen Rucksack auf den Rücken und meine schnellen Schritte hinterlassen Abdrücke auf dem Boden der Teufelsmauer.

Katzentatzen im Wohnzimmer

Ich kann nicht sagen, welche Erinnerung die älteste ist, wenn ich an die vielen Räume meiner Kindheit denke.
Zweifelsfrei entspringt sie jedoch einem der Zimmer, die sich in dem damals neuen Reihenhaus befanden, welches ich vom Tag des Einzugs an mein Zuhause nennen sollte.
Und im Grunde ist so ein Haus ja auch nur ein sehr großer Raum, der senkrecht und waagerecht mehrmals unterteilt wurde.
Ich höre noch das scheppernde Geräusch der zufallenden Haustür und das darauf folgende sich entfernende Klappern der Schritte meiner Mutter.
Wenn ich meine Ohren spitzte, konnte ich sogar das Anlassen des Motors ihres Opel Kadett hören, das langsame Ausparken und wie sich schließlich das Brummen im Nichts verlor.
Dann breitete sich eine, durch ihre Plötzlichkeit, fast greifbare Stille im Haus aus, nur durch das gelegentliche Seufzen des Kühlschranks oder das unangemeldete Knallen eines der Heizungsrohre unterbrochen.
Diese Stille zauberte mir eine knisternde Spannung zwischen die weiß getünchten Rauhfasertapeten. Ich fühlte mich sogleich nicht etwa allein, sondern ganz und gar bei mir und wundersam frei.
Ich erhob mich von der obersten Treppenstufe, die mir bis dahin einen Platz gewährt hatte und blickte vorfreudig durch das schlanke schwarze Holzgeländer.
Das Sonnenlicht des weit vorangeschrittenen Nachmittags flutete großzügig durch die großen Terassenfenster und verlieh dem so aufgeräumten Wohnzimmer die lebendige Ruhe eines Stilllebens.
Der geschwungene Chippendale Sekretär meiner Mutter erstrahlte im goldbraunen Glanz, der Kamin schlief seinen tiefen Sommerschlaf und das Besteck hing abwartend zu seinen Füßen, jeder Zeit bereit wieder eingesetzt zu werden.
Auf dem cremefarbenen Marmortisch standen stolze lila Tulpen und versprühten ihren edlen Duft von Wohnlichkeit.
Als ich dann bedächtig, Stufe für Stufe nach unten schritt, erwarteten mich diese stummen Zeugen und richteten, das konnte ich in jeder meiner elektrisierten Poren spüren, ihr Augenmerk ausschkießlich auf mich.
Vor der meterlagen nussbraunen Schrankwand blieb ich stehen und atmete ein.
Die Spannung in mir stieg, der Raum war nun so still, wie ein Theatersaal, wenn sich der Vorhang lüftet.
Mit einem Schwung öffnete ich die hölzernen Flügeltüren. Matt glänzend dämmerte dahinter ein wuchtiger Fernseher im stand by Modus vor sich hin.
Unbeachtet lies ich ihn weiter dösen.
Meine Aufmerksamkeit galt der Stereoanlage meines Vaters im Regal darüber.
Weil kleine Kinder selbst die kompliziertesten Abläufe schnell begreifen, schaltete ich ohne weiter darüber nachzudenken erst den Verstärker und dann den CD Player an.
Rote und blaue Lichtchen signalisierten das erfolgreich in Gang gebrachte Leben.
Ich öffnete die schwarze Plastikhülle mit den zwei grünen Katzenaugen und holte die darin liegende Silberscheibe heraus.
Bevor ich „play“ drückte, kostete ich den Moment der Vorfreude noch etwas aus.
Das Publikum saß an seinem Platz, wartete gespannt auf den großen Augenblick.
Ich stellte mich mit meiner bunten Leggins und meinem neonfarbenen Tshirt breitbeinig hin und drückte den Knopf der Fernbedienung.
Als die Musik erklang verwandelten sich die beiden sandfarbenen Couchen in sich in der Tiefe des Raumes verlierende Sitzreihen, der steife Perserteppich wurde zu schwarzen Holzbrettern und der Kronleuchter zu einem einzigen hellen Spot, der, nur auf mich gerichtet, jede meiner Bewegungen verfolgte.
Dann schwang ich meine Beine, hüpfte, wirbelte, drehte mich mehrmals im Kreis und ahmte die Bewegung von tanzenden Katzen nach.
Ich sang jede Zeile auswendig mit, wurde hinterlistig, überheblich, grazil, verführerisch, altersschwach, ein ganzer Chor, mein eigener Duettpartner.
Am Ende jedes Liedes strahlte ich in die Menge und genoß ihren Beifall.
Das Publikum johlte, es gab stehende Ovationen, unzählige Zugaben, der Vorhang fiel und öffnete sich doch wieder im Schwung der Begeisterungsstürme.
Doch als sich der Schlüssel meiner Mutter in der Haustür drehte, schnellte der Zauber schockiert durch den Kamin nach draußen, floh in den Keller, zog sich blitzschnell durch Abflüsse, offene Fenster und die kleinsten Ritzen in die sichere Zwischenwelt des Abwartens zurück.
Beschämt verstummte der Raum und schwieg ertappt.
Dann stand ich da mit rotem Kopf und wünschte mir, ich könnte diese beiden Welten vereinen.

Grüner Berg mit weißer Spitze

Ein Löffel plingte ans Glas, das Plappern der Hochzeitsgesellschaft verstummte langsam, es wurde still und alle blickten mit erwartungsvollen Augen auf die Mitte der Festtafel.
Mein guter Freund Heiko heiratete und während ich fast einem Liter Pernod ein neues, warmes zu Hause gab, lauschten 69 weitere Gäste, deren 25 Kinder, 3 blonde Bedienungen und eine Band mehr oder weniger aufmerksam den ausschweifenden Erzählungen des Brautvaters.
Das Anwesen, welches den Feierlichkeiten platz bot, umfasste ein Restaurant mit ausgebautem Weinkeller, einen illuminierten Garten mit Bestuhlung und ein angrenzendes Hotel, in welchem alle, die eine etwas längere Anfahrt hinter sich hatten, nächtigen würden.
Dieser Luxus blieb mir jedoch verwehrt, da meine Wohnung nur etwa sieben Minuten vom Gutshof entfernt lag.
Dies war auch der Grund, weshalb ich um so verwirrter war, als ich mich plötzlich, zu einer undefinierbaren Zeit auf einem pernodgetränkten Duschvorleger in einem fremden Bad wieder fand.
Ein säuerlicher Anisgeruch ging von den buschigen Kunstfasern aus, die bis in meine Nase ragten.
Ich winkelte meine Arme an, nahm alle Kraft zusammen und mit einem schmatzenden Geräusch entfernte sich meine rechte Backe von ihrem saftigen Untergrund.
Mich an der Handtuchstange festhalten, zog ich mich nach oben, um dann auf wackeligen Beinen meinem Spiegelbild gegenüberzutreten.
Ich hatte geschwollene, blutunterlaufenen Augen, war teilweise mit einer klebrigen Substanz überzogen und kleine, schleimige Bröckchen hingen unregelmäßig verteilt an Haut, Haaren und meinem schwarzen Anzug.
Ich drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf und hielt meine Hände unter den satten Strahl.
Danach bückte ich mich und quetschte meinen Kopf in das Becken. Als das eiskalte Wasser meine Haut berührte, durchzog sogleich ein pochender Schmerz meinen Hinterkopf, und ich konnte nicht anders, als laut aufzustöhnen.
Immerhin holte mich dieser Schmerz ein wenig in die Realität zurück und führte mich unweigerlich zu der Frage, was ich hier eigentlich tat.
Die letzten Erinnerungen, die ich mir vor Augen führen konnte, waren schwammige Bruchstücke nicht zuzuordnender Ereignisse.
Was auch immer geschehen war, das sinnvollste wäre nun ein Taxi zu nehmen, den Rausch auszuschlafen und dann still zu hoffen, daß nichts schlimmeres passiert war.
Zunächst mußten jedoch sämtliche Reste von Kleidung und und Haut entfernt werden.
Ich ergriff das weiße Frotteehandtuch und säuberte mich notdürftig.
Da ich der Meinung war, daß sich sicherlich niemand mehr die Hände damit abtrocknen wollte, schmiß ich es in die Badewanne.
Dann lehnte ich mich an die Tür und lauschte.
Nichts. Kein Geräusch war zu vernehmen.
Ich drückte die Klinke nach unten, als ich doch noch einen unscheinbar winzig kleinen Laut zu hören glaubte.
Verunsichert ob ich meiner Wahrnehmung trauen konnte, presste ich mein Ohr fester an das kalte, weiße Holz und hielt den Atem an.
Doch ein aufsteigender Würgereiz machte es mir unmöglich mich ausreichend zu konzentrieren. Ich stürzte zur Toilette und entledigte mich der letzten Reste, die mein Körper teils dankbar, teils widerstrebend von sich gab.
Insgeheim war ich froh, daß sich dieses Drama nicht in meinen eigenen vier Wänden abspielte.
Als die Krämpfe irgendwann nachließen, kroch ich wieder zur Tür, horchte und als ich abermals nichts vernahm, hob den rechten Arm, drückte die Klinke nach unten und öffnete die Tür so weit, daß mein linkes Auge einen Blick hindurch werfen konnte.
Dunkel.
Zumindest fast.
Eine schmale Linie aus Licht zeichnete sich auf dem Boden ab. Sie begann etwa drei Meter von mir entfernt. Ich verfolgte sie weiter um ihren Ursprung ausfindig zu machen und entdeckte, daß diese Linie direkt auf mich zukam. Panikartig wurde mir bewußt, daß ihre Existenz von der Milchglaslampe über mir herrührte.
Meine linke Hand tastete sich an der befliesten Wand nach oben, fand einen Schalter und drückte ihn.
Absolute Finsternis.
Im gleichen Augenblick schien ich mich plötzlich auf einem in Seenot geratenen Schiff zu befinden.
Ein unglaublicher Wellengang brachte mich zum taumeln und ich verlor jegliche Orientierung.
Ich tastete den Boden ab, fühlte Fliesen, tastete weiter und stieß auf ein Hindernis. In der Hoffnung, daß es sich um die Tür handelte, versuchte ich es aufzuschieben. Es gelang mir und so kroch ich aus dem Badezimmer heraus.
Ich kniff meine Augen zusammen.
Ich meinte den Schimmer eines Schimmers in einiger Entfernung vor mir ausmachen zu können.
Ich nahm an, daß es sich um Licht, daß durch den Spalt unter einer Tür einfiel, handeln könnte. Es war jedoch so schwach, daß es nicht mehr, als die Härchen des Teppichs auf die es traf, beschien.
An der einzigen Orientierung festhaltend, kroch ich weiter, meinen rechten Arm als Fühler voraus streckend. Nach etlichen Zentimetern ergriff dieser Arm etwas weiches, kühles, daß sich wie Satin anfühlte.
Ein winziges Geräusch, daß nicht einmal die Größe des Lichtschimmers hatte, lies mich in meiner voraustastenden Position verharren. Es war wie eine Art singender Windhauch.
Ich konzentrierte mich darauf selber völlig stumm zu bleiben, als sich in meinem Gehirn zwei Synapsen wieder aneinander schlossen um den Weg zu einem Erinnerungsbruchstück frei zu schalten.
Vor meinem geistigen Auge legte sich auf den kühlen, weichen Stoff, den meine Hand griff, ein seidiger, grüner Schimmer.
Glänzendes, helles Grün, daß sich spannt, dann glockig fällt, sich dreht, verhüllt und doch die darunter liegenden Formen frei gibt.
Ganz langsam öffnete sich meine Hand und lies den Stoff los, die Erinnerung jedoch blieb und erzeugte eine neblige Stimmung aus Neugier und schalen Schuldgefühlen.
Noch langsamer aber auch wesentlich unsicherer kroch ich weiter, bis mein Knie mit vollem Gewicht auf einen harten, spitzen Gegenstand stieß und ich sogleich zur Seite fiel, wie ein betäubter Kater.
Ein typischer Musikknochenschmerz durchzog die Stelle und ich hielt die Luft an, damit sämtliche Geräusche, die aus mir raus wollten, im Keim erstickten.
Nachdem die erste Benommenheit verzogen war, tastete ich nach dem Mordinstrument und umfasste ein glattes, ausgehöltes Objekt, mit langer bleistiftdünner Spitze, welches einem Frauenschuh nicht unähnlich war.
Angeregt durch diese klare Form, entschlossen sich ein paar weitere Erinnerungszellen zur Aktivierung und legten ein jungfräuliches Weiß auf den Schuh, und ließen ihn darauf hin wippen und springen. Sie legten ihn auf meine schwarze Hose, ich musterte ihn eingehend und sah, daß ein zarter, mit Nylon überzogener Knöchel aus ihm ragte. Mein Blick wanderte höher, glitt die Wade entlang und als ich schon hoffte, das grüne Satinkleid zu erkennen, wanden sich weiße Wellen um die glatten, runden Knie, und liefen am Saum aus.
Verwirrt durch diese Tatsache, schlussfolgerte ich eine knallharte These:
Das grüne Kleid und der weiße Schuh gehören nicht zusammen.
Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf meiner Haut und ich realisierte, daß diese Erinnerung drauf und dran war meine komplette Amnesie zu beheben.
Tatsächlich lag mir jedoch nicht mehr das geringste daran zu erfahren, was sich oberhalb des weißen Meeres befand, mein einziger Gedanke galt einem möglichst schnellen und unbemerkten Abgang.
Ich legte den Schuh auf den Boden zurück und ging wieder auf alle viere.
Ich tapselte recht unbeholfen die letzten Meter, zog mich am Knauf der Tür nach oben und drehte ihn mit äußerster Vorsicht nach rechts. Die Halogenflut sog mich auf den Flur und als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, büxte mein Blick noch einmal aus und traf auf grüne Hügel und weiße Spitzen, auf nylonglänzende Wege, geringelte Flüsse aus goldenem blond und einem Wasserfall aus schwarz.
Dazwischen schlafende Glieder, schlaff aus Erschöpfung.
Das Bild engte sich ein, als der Lichtkegel enger wurde und kurz bevor das Schloß einrastete, vernahm ich ein letztes Mal das Seufzen.
Mein gesenkter Blick entdeckte, daß meine Hose nicht vollständig verschlossen war und ich machte mich gerade daran zu schaffen, als mich die Menge am Ende des Ganges erblickte.
Dahin haben sie die Braut entführt.“
Der wahnsinnige Mob rannte auf mich zu, es warf mich zu Boden, Hände tasteten mich ab und Körperflüssigkeiten schlugen mir ins Gesicht.

Werktags

Werktags von 07:00 – 12:00 und von 13:30 – 19:00

Sie wußte nicht genau warum ihr gerade heute das Schild in die Augen sprang. Schließlich sah sie es jeden Tag. Aber heute bemerkte sie das Schild und etwas, ein Gedanke lies sie stutzen. Sie konnte nicht genau sagen welcher, aber das weiße Schild mit roter Schrift, welches an einem Eisenkettchen hing erregte auf einmal ihre Aufmerksamkeit. Sie bückte sich hinunter und schaute es noch einmal an.
Die metallene Fläche war etwas zerkratzt und verbeult, allerdings nur schwach, so daß nie ein Grund bestanden hätte ein neues zu kaufen. Es war auch weniger das Aussehen, daß sie irritierte, als viel mehr der Inhalt, der ihr Interesse weckte.

Es war jetzt 06:15.
Sie stellte sich wieder gerade hin, langte in ihre Hosentasche und kramte umständlich den Ladenschlüssel hervor. Über die Jahre schienen die Hosen eingelaufen und enger geworden zu sein. So war der Schlüssel fest verkeilt zwischen zwei Speckröllchen und lies sich nur mit einigem Kraftaufwand bewegen.
Endlich. Hervorgeholt steckte sie ihn ins Schloß, drehte ihn zwei mal um seine Achse, zog die Tür dann erst zu sich heran, drehte den Schlüssel noch ein Stück und stemmte sich dann mit aller Wucht gegen die Tür.
Wie viel würde noch mal die Überholung des Eingangs kosten?
Die Tür flog auf und gleichzeitig klingelten die beiden Glöckchen, die am Rahmen hingen.
Sie trat ein und begann ihr morgendliches Ritual.
Im Halbdunkel trat sich zielsicher in einen kleinen Nebenraum, schaltete die transportable Herdplatte an, nahm einen Topf, ging damit zur Toilette und füllte ihn mit Wasser, ging zurück und stellte ihn auf die nun schon warme Platte. Dann fischte sie aus dem obersten Regal ihre Tasse, eine Dose und die Packung Indian Spirit, schüttelte sich eine Zigarette raus und zündete sie an.
Dieser erste Zug war herrlich. Sie schaute ihrem Qualm nach, wie er sich langsam im Zwielicht verlor.
Mit der Kippe im Mund zog sie die Rollläden hoch und packte danach sämtliche Werbe - und Zeitungsständer auf den Bürgersteig.
Das Wasser blubberte.
Sie öffnete die Dose, schüttete etwas Instantkaffee in die Tasse und goß sie mit dem Wasser auf.
Dann lehnte sie sich an die Ladentheke. In der linken linken dampfte der Kaffee, rechts die nächste Kippe.
Jeden Morgen stand sie so da, jeden Morgen in völliger Ruhe, wartend, bis der Zeitungsmensch kam und ihren Laden mit Packen neuester Nachrichten, bunter Seiten aus dem Leben, mit Krieg und Nöten, mit aufsehenerregenden Schlagzeilen, mit Groschenromanen und Comics füllte.
Dann würde sie einräumen, ihren Rücken verfluchen, alles nett sortieren und die meißt gefragten Blätter hübsch auf der Ladentheke ausbreiten.
Vielleicht lag es an dem großen Laster, der vorbei fuhr, vielleicht schaute sie auch nur durch Zufall zur Tür, jedenfalls blieb ihr Blick wieder am Schild hängen.
Jetzt sah sie es von hinten, grau und matt war es. Was war denn heute damit? Hatte sie davon geträumt? Und wenn schon, sie konnte sich seid Jahren an keinen Traum mehr erinnern. Sie schlief wie ein Stein. Um zehn machte sie die Augen zu, um fünf Uhr dreißig wieder auf. Dazwischen war nie etwas. Als sie jünger war, hatte sie schon noch geträumt. Sie hatte als Kind immer geschwebt, danach fand sie sich auf dem Boden wieder. Später wurden sie unterschiedlich, mal wild, mal wunderschön, mal wachte sie nachts angstvoll auf. Das nahm dann überhand. Ja richtig, eine zeitlang hatte sie sich regelrecht mit Schlafstörungen rumgequält. Doch irgendwann war es vorbei gewesen. Als hätte sie beschlossen aufzuhören.
Das Schild bewegte sich und klapperte ans Glas, der Kurier klopfte kräftig an die Tür.

06:43
Alles lag bereit, wie immer. Der Tag konnte beginnen.
Zeit für den nächsten Kaffee. Gerade als sie den Löffel in das braune Pulver tauchte, klingelten die Glöckchen. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Seltsam. Hatte sie nicht wieder abgeschlossen? Sie lies den Löffel stecken und lugte in den Laden.
Wir haben,...“
Sie sah niemanden.
Hallo?“
Sollte etwa?
Sie ging hinter die Theke und beugte sich darüber. Leer. Kein Mensch da. Aber wäre derjenige wieder raus gegangen, hätte es zwei mal geklingelt. Sie schaute zu den Glöckchen. Zitterten sie?
Sie drückte die Klinke hinunter. Zu. Vielleicht war es der Wind?
Draußen strahlte die Morgensonne auf die obersten Fensterreihen gegenüber und kein Blatt rührte sich.
Vielleicht hab ich mich verhört. Hm.
Sie stutzte noch eine Sekunde, schüttelte den Kopf und beendete ihr Kaffeeritual.
Der Morgen verlief ansonsten ruhig und so wie sie ihn gewohnt war. Die Stammkundschaft kam, kaufte die üblichen Exemplare und im Laufe des Vormittags verlor sich langsam das Licht der stetig steigenden Sonne im vorderen Teil des Raumes, bis es schließlich nur noch eine schmale, helle Linie auf der Auslegeware und dem Boden vor der Tür war. Der Rest des Raumes verschwand dagegen im stickigen Dunkel.
So mußte ihr Blick zum Schild gelenkt werden, ja er wurde regelrecht angezogen, als hätte jemand mit leuchtendem Textmaker eingekreist und noch rundherum Pfeile gemalt, um zu sagen: da, da, wichtig, wichtig. Löse das Rätsel, dies ist der erste Hinweis.
Verdammt noch mal, vielleicht wurde sie auch langsam wirr im Kopf. Sie war 47 Jahre alt, träumte nachts nicht mehr, tat hier seid 12 Jahren ihre Arbeit, rauchte seid nicht viel kürzer eine Packung am Tag (erst Marlboro, seid ein paar Jahren Indian Spirit, das klang zumindest viel versprechender), trank gut und gerne ihre 4 – 6 Tassen Kaffee am Tag, lebte in einer Einraumwohnung um die Ecke und kannte sich, dank ihres Berufes gut im Welt und Klatschgeschehen aus. Und das war immer ganz normal gewesen, alles. Nie wurde sie gezwungen sich darüber Gedanken zu machen.
Und heute? Da war auf einmal alles so komisch. Dabei war ja nicht mal etwas passiert.
Sie hatte nur den Eindruck, daß etwas anders war.
Bis auf das Klingeln der Glöckchen heute morgen. Das war seltsam.
Hi.“Die Worte schreckten sie auf, als hätte jemand mitten im Schlaf eine Handgranate neben ihrem Bett gezündet. Ihr ganzes Ich erbebte förmlich.
Vor ihr stand ein junger Mann, mit kaffeebrauner Haut, langen Rastas und Augen, deren unergründlich warmes Dunkel alles in sich sog, wie ein schwarzes Loch Sterne in der Galaxie.
Du meine Güte.
Hatte sie nicht die ganze Zeit hinausgestarrt? Sollten die blöden Glöckchen ausgerechnet jetzt ihren Dienst versagt haben?
Ja, bitte?“ stammelte sie zurück.
Verlegen schob er seine Mundwinkel zu den Ohren und entblößte zwei Reihen so perlweißer Zähne, daß jede weitere Beschreibung nur in Kitsch und Übertreibung ausarten würde.
Er langte mit der Hand in die tiefsitzende Jeans und holte ein kleines, weißes Zettelchen hervor, daß er vor sie auf den 'Spiegel' legte.
Sie sah auf das Zettelchen, dann in sein Gesicht. Er kratzte sich an der Nase, schob seinen Kopf kurz nach vorne und wieder zürück und zog dabei die Augenbrauen hoch. Erwartungsvoll blickten die Vertrauen erweckenden Augen in die ihren.
Damit sie nicht Gefahr lief den Halt zu verlieren, griff sie das Zettelchen und entfaltete es.
'Sinum Nr. 31' stand darauf. Sie ging in die hinterste Ecke, bückte sich ganz nach unten und kramte unter einem Stapel 'Fasten heute' eine Zeitschrift mit dickem, hochglänzendem Papier hervor. Sie verglich die Nummer auf dem Cover mit der auf dem Zettelchen und reichte beides dem Mann.
Neunwanzig.“
Er faßte sich mit Daumen und Zeigefinger ans Nasenbein und schien kurz zu überlegen. Dann erhellte sich seine Miene und aus der Hinterntasche zog er einen Zehn Euro Schein hervor.
Sie nahm ihn entgegen und gab ihm achtzig Cent Wechselgeld.
Abermals traten die unverschämt weißen Zähne hervor und mit einer kleinen Verbeugung drehte er sich um und verschwand aus dem Laden.

Erst nach dem dritten, tief inhalierten Zug, holte sie sich eine andere Sinum.
Welchen Artikel konnte er darin lesen wollen, nachdem er augenscheinlich kein deutsch sprach? Vielleicht war er auch einfach stumm? Hm.
Sie konnte sich nicht erinnern jemals diese Zeitschrift durchgeblättert zu haben.
Es war offensichtlich eine Kunstzeitung mit Veranstaltungstips und Reportagen über Künstler, Ausstellungen, Vernissagen, Galerien, etc.
Alles etwas, von dem sie so gar nichts verstand.
Aber wenn dieser Mann kein deutsch konnte, wie wollte er dann die ganzen Termine lesen?
Hm.
Sie hatte ja Zeit. Sie blätterte.
Was waren den Lithographien?
Innovation und Interaktionismus. Kulturvertausch. Bennie Hallerstedt.“
Waren das wohl auch Bilder?
Sehend hören. Erblinden tauben. Alle Sinne beisammen.“
Ob die wohl selber wußten, was sie meinten?
Egg attack. Women beat the sperm.“
Eieiei.
Philosophischer Gigantismus. Körpersprachliches Gegenstück zur Ellipse. Kuno von Fahrenzirk.“
Und „Zerbo Zannotkaij. Badeauslegercollagen; Linoleum als Ausdruck der Sinnlichkeit.“
Weitere Maler folgten mit den unterschiedlichsten Themen.
Dann kamen die Fotografen.
Die Linse der Welt. Der Fuß als Symbol des Lebenswegs.“
Sie haßte Füße. Die meißten jedenfalls. Sie sahen einfach eklig aus. Und die Vorstellung sich 250 Fotos nur mit Füßen anschauen zu müssen? Brrrrr.
Wir durch die Welt. Nichteuropäische Künstler zeigen uns durch ihre Augen.“
Wie? Ach so.
Mbgnambi Odenigbo. Ein Afrikaner im Osten.“
Ob der die Plattenbauten wirklich anders sah als wir?
Uguustaami Laangsaatiki“
Welch ein Name.
Uguhusa.. Ugustami Langsatki, ne Ugu, ... hm.
Werktags. Unser uns so alltäglicher Wahnsinn kindlich erforschend festgehalten durch die Linse des Halbindianers, Halbafrikaners. Uns werden die Augen aufgehen.“
Darunter eine Kritik, eines seiner Bilder und ein Foto des Künstlers.
Da war es wieder. Das Gesicht. Diese unendlichen Augen und ein scheues Grinsen.
Der kaffeebraune Mann von vorhin. Er war also selbst Künstler. Fotograf.
Kulturgarten. Öffnungszeiten 10:00 – 20:00“
Der Garten war gar nicht weit. Sie schaute auf die Uhr. 11:48.
Perfekt. Sie würde heute Mittag eine Fotoausstellung besuchen!

12:13
Der Raum war kühl, dank Klimaanlage und vor allen Fenstern waren die Jalousien herunter gelassen. Indirektes Licht und Punktstrahler sorgten für die perfekte Beleuchtung.
Es waren mehrere Säle, die mit Fotos gefüllt waren.
Am Eingang lag ein Prospekt mit einem Portrait des Künstlers. Sie nahm es mit.
Sie ging zum vordersten Bild. Auf den ersten Blick eine gänzliche normal Situation. Menschen stiegen in eine U – Bahn. Und dennoch wirkte es ungewohnt, da es in zwei Ebenen eingeteilt war. Rechts das U – Bahn Innere, mit wartenden und sitzenden Menschen und links der Bahnsteig mit rennenden und laufenden Personen. Der Fotograf mußte genau in der offenen Tür gestanden haben. Ein schöner Kontrast. Links rennen die Menschen und rechts warten sie. Dabei sind sie räumlich kaum voneinander getrennt.
Erwartungsvoll ging sie zum nächsten Bild.
Wieder U – Bahn, diesmal nur anders herum und doch nicht. Links rennen, rechts warten. Nur das links diesmal die Bahn war. Er mußte ausgelöst haben, kurz bevor der Erste einen Schritt aus der Bahn getan hatte. Das erste Bild war wohl dann morgens, das zweite abends.
Wirklich erstaunlich. Sie sah die Gleichheit und auch die Komik in diesen Szenen:
Wie auf Knopfdruck, morgens rein, abends raus, alle gleich.
Begeistert ging sie weiter und betrachtete die nächsten Bilder. Auf einmal spürte sie eine Hand auf ihrem linken Arm. Erschrocken fuhr sie herum. Und wieder hatte er sich völligst lautlos genähert. Warum erschrak er sie andauernd? Wieso erschrak sie nur immer so?
Und auch dieser Blick von ihm. Er schien alles zu erkennen. Er lächelte sie wieder an.
Hallo,“ sagte sie. Aber was sollte sie schon sagen? Er konnte schließlich kein deutsch und weshalb nahm er dann Kontakt auf? Hatte er womöglich nur diese Zeitung gekauft, damit sie hierher kam?
Ähm, gute Fotos,“ sagte sie und zeigte dabei auf das neben ihr hängende und formte Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis.
Er verbeugte sich dankend und schloß dabei kurz die Augen. Dann steckte er seinen Arm in Richtung des nächsten Raumes aus und legte den Kopf schief. Unverkennbar die Bitte ihr zu folgen.
Sie lächelte, nickte und folgte ihm.
Viel war nicht gerade los, etwa 10 weitere Besucher befanden sich noch in der Ausstellung.
Sie gingen durch zwei weitere Räume durch zur hinteren Wand, an deren rechter Ecke sich eine unauffällige, weiße Tür befand. Sie traten ein und befanden sich nun in einer Art Aufenthaltsraum.
Dort stand ein Tisch, eine kleine Küchenzeile, ein halb voller Aschenbecher und ein paar Zeitschriften und Umschläge lagen auf dem Tisch.
Nun wurde ihr doch etwas komisch. Warum nahm sie dieser junge Künstler mit durch seine Ausstellung und dann in einen separaten Raum? Er würde ihr wohl kaum gleich die Kleider vom Leib reißen, oder sich als ihr Halbbruder herausstellen. Was konnte er überhaupt von ihr wollen? Er zeigte auf einen Stuhl und sie setzte sich.
Unter dem Fenster standen ein paar Bilderrahmen. Er kniete sich hin und ging einen nach dem anderen durch. Dann holte er einen hervor und lehnte die anderen wieder an. Er legte ihn vor sie auf den Tisch. Jetzt sah sie, daß sich auch darin ein Foto befand.
Und was für ein Foto.
War ihr bis eben der Tag noch etwas seltsam vorgekommen, so war sie sich nun sicher, daß dem so war.
Natürlich zeigte das Foto ihren Laden. Natürlich sah man das Schild darauf. Und auch noch sie selbst!
Sie saß auf den Stufen vor der Tür und rauchte, geblendet von der Sonne.
Man sah fast den ganzen Laden, die Zeitschriften im Schaufenster, den Zeitungsständer und die Werbeschilder auf dem Bürgersteig.
Ihr Kiosk befand sich an einer Straßenecke und somit konnte man im rechten hinteren Bildteil noch die Uhr erkennen, die vor dem U – Bahn Eingang stand. Sie zeigte 13:27. Nicht viel später, als gerade jetzt.
Sie starrte auf das Bild, unfähig sich davon zu lösen.
Diesmal erschreckte er sie nicht. Im Augenwinkel nahm sie wahr, wie er zur Kaffeemaschine ging und etwas von dem Inhalt in eine kleine Tasse goß.
Er drehte sich um und blieb neben ihrem Stuhl stehen.
Der Duft des Kaffees lies sie leicht ihren Kopf heben. Dankbar nahm sie die Tasse an. Vor 13:30 würde sie nun sowieso keinen mehr schaffen.
Scheiß 13:30. Scheiß Pause.
Er ging abermals zur Küchenzeile und holte auch sich einen Kaffee. Dann gab er Milch und Zucker hinein und setzte sich ihr gegenüber.
Was wollte er eigentlich? Ihr zeigen, wie beknackt ihr Leben war? Das sie ihre freien Minuten mit Rauchen und Warten auf die Öffnungszeiten verbrachte? Daß sie seid 12 Jahren große und kleine Weltgeschichten verkaufte, selber jedoch am Leben schon lange nicht mehr teilnahm?
Was bildete er sich überhaupt ein? Wie konnte er es wagen über sie zu urteilen? Wie konnte er sie nur so schlecht machen?
Ihr blödes Öffnungszeitenschild war tatsächlich der Mittelpunkt dieses Bildes. Ihres ganzen Lebens.
Was konnte einer vom anderen Ende der Welt schon verstehen, von ihrem Leben?
Für ihn sah das hier bestimmt alles aus wie im Paradies. Na klar. Er wurde sicherlich gefördert mit Stipendien, aber konnte er wissen, wie das war, nichts gelernt zu haben? Pah. Hätte sie damals zur Fotokamera gegriffen, die hätten sie ausgelacht.
Er machte sich bestimmt lustig über alle, die wie Maschinen in U – Bahnen ein und ausstiegen und jeden Tag regelmäßig ihre Arbeit machten.
Bestimmt schüttelte er arrogant den Kopf über so ein monotones Leben. Wer gab ihm das Recht dazu? Und jetzt verdiente er auch noch mit dieser Arroganz Geld, das ihr immer so knapp war. Was für ein Arsch! Und jetzt nahm er sie auch noch mit hierher, um ihr das zu zeigen!
Sie schaute hoch und hoffte im nächsten Moment inständig nicht laut gedacht zu haben.
Er sah nicht überheblich aus und schon gar nicht schadenfreudig. Vielmehr grinste er unsicher.
Und fragend.
Er sah auf einmal kleiner aus und schien zu ihr hochzublicken. War da nicht sogar Angst dabei? Nein, aber Respekt.
Ja, dieser junge Mann brachte ihrem Leben Respekt gegenüber. Er hatte sich nicht darüber lustig machen wollen. Er sah in dieser Situation nichts schlechtes.
Sie selbst hatte es gesehen.
Sie lächelte ihn an und nickte einige Male.
Er stand auf und verbeugte sich, wobei er abermals kurz die Augen schloß.
Dann nahm er das Bild und hielt es ihr hin.
Oh nein.
Sie schüttelte den Kopf. Er hielt es ihr weiter hin und nickte heftig mit dem Kopf. Niemals.
Bestimmt schüttelte sie den Kopf.
Dann kam ihr eine Idee. Sie schaute sich im Raum um. Wenn der Mann doch Fotograf war...genau, sie hatte recht. Neben der Küchenzeile stand eine graue Tasche. Sie stand auf und ging dort hin. Sie öffnete diese und holte die Kamera heraus. Dann ging sie zum Fenster und stellte sich mit dem Rücken dazu.
Sie lächelte ihn an, er lachte zurück und sie drückte ab.
Dann legte sie Kamera auf den Tisch, nahm einen Umschlag und schrieb eine Adresse darauf.

Rudolfo verliebt sich

In der Hitze des Sommers kam Rudolfo zu dem Schluss, daß es nun an der Zeit war, sich zu verlieben.
Rudolfo überlegte sich, wie er das am Besten anstellen mochte und entschloss sich in ein nahegelegenes Café zu gehen. Er setzte sich mitten hinein auf einen kissenbedeckten Korbstuhl und bestellte einen Latte Macchiato und einen großen Schoko-Eisbecher mit Extrasahne.
Es schmeckte köstlich.
Das Eis lutschend schaute sich Rudolfo um und fing an die Damen um sich herum zu studieren.
Es gab viele reizende Damen, denen Rudolfo nicht einmal in die Augen zu schauen wagte und es gab einige, die er nicht so gerne mochte, er fand sie einfach nicht so hübsch. Rudolfo wußte, daß er da nur nach Äußerlichkeiten ging, aber er fand, er habe auch das Recht dazu, schließlich könne jedes Mädchen auch selbst entscheiden, ob es ihn attraktiv fand oder nicht.
Rudolfo fragte sich, ob er irgendeine Haarfarbe bevorzugte.
Dort gab es lange blondglänzende Mähnen, die das Sonnenlicht reflektierten. Er sah auch so manches rotes Haar, doch das schien ihm gefärbt zu sein. Und er war kein Freund künstlicher Haarfarben.
Er fand, daß ihm braun am besten gefiel. Braun sah warm und freundlich aus. Aber nicht so dominant wie blond. Zurückhaltender. Nicht so aufdringlich. Netter.
„Das Mädchen, daß ich einmal liebe“, dachte sich Rudolfo, „wird braune Haare haben.“
Er war sich dessen sicher.
Während er sich einen weiteren Löffel der süßen Erfrischung in seinem Mund zergehen lies, fragte er sich, woran er es eigentlich merken würde, daß er sich verliebte.
Womöglich hatte er sich ja auch schon verliebt und bemerkte es gar nicht, weil er nicht wußte, daß dieses Gefühl Liebe war. Schließlich erklärte es einem ja niemand.
Alle sprachen sie von der Liebe und daß sich durch sie ihr ganzes Leben verändert habe, aber woher wussten sie denn, daß das Liebe war. Sollten sie doch mal beweisen, daß sie liebten. Kann ja schließlich jeder einfach so behaupten.
Rudolfo fand, daß das alles so nichts brachte. Vielleicht hatte er sich schon in seine Tischnachbarin verliebt, aber er bemerkte es nicht, weil er nicht wußte, daß das Liebe war.
Was für eine Verschwendung!
Bevor er also auf die Suche nach der richtigen Frau ging, musste er also erst einmal sicher sein, daß er es auch merken würde, wenn er sich verliebte.
Rudolfo kratzte die letzten Reste seines Bechers aus.
Ich liebe Eis, dachte er sich. Niemals könnte ich mir einen Sommer ohne Eis vorstellen.
Rudolfo stand auf und machte sich auf den Weg nach Hause.
„Lustig“, dachte er sich, „das Wünsche manchmal so schnell in Erfüllung gehen.“


Herbststurm

Auf einmal wird er duster. Ganz plötzlich. Scheinbar ohne Vorankündigung.
Fallendes Laub wirbelt in der Luft.
Seine Böen jagen los, zerren unbarmherzig an Mantel und Haaren, rauben mir den Atem.
Klatschende Regentropfen nehmen die Verfolgung auf, geben den Rhythmus meiner hetzenden Schritte an.
Von triefenden Gehsteigen, Rutschpartien mit spiegelglatten Blättern, kriecht Nässe die eingeweichten Säume unaufhaltsam nach oben. Wolken, dämonisch tief, kratzen an den Giebeln der Dächer, zwingen mich, die Herrschaft übernehmend, in mein Haus.
Krachend schließt die Tür, gewährt mir zeitweisen Schutz und ein Quäntchen Ruhe, um zur
Besinnung zu kommen.
Der Gasherd zischt und treibt das Wasser in Bewegung. Ein duftendes Kraut entlässt seine
Aromen. Warmes Porzellan belebt meine Hände.
Ich stehe hinter dem Vorhang und blicke nach draußen.
Ist dies der gleiche Himmel, der mich noch vor Wochen strahlend begrüßte? Mich schwärmerisch nach draußen lockte, begierig mich unbekleidet auf grünen Wiesen zu empfangen? Mit feuchter Haut gab ich mich ihm verschwenderisch hin, jede Pore durfte er entdecken, jede meiner Stunden war sein. Ich vernachlässigte die Arbeit, drehte mein Tagewerk um ihn. Ja selbst noch des Nachts hob ich das Glas zum funkelnden Firmament und stieß, mit ekstatischem Genuss und inbrünstiger Hingabe, auf sein Wohl an.
Ins Exil meiner eigenen vier Wände vertrieben, kann ich nun mehr nur vermummt die Straßen betreten, unerkannt von oben, geschützt durch meinen aufgespannten Schirm. Doch dessen Speichenskelett kapituliert nach wildem Kampf und die zerrissenen Fetzen der Bespannung flattern unterwürfig in seinem Wind.
Alle Kraft bietet er auf, duldet mich nicht mehr unter sich, fegt Erde und Luft restlos leer, bis Baumkronen kahl, Vögel von dannen und jedes Tier verkrochen.
Erst dann beruhigt er sich, erst dann legt er eine weiße Decke des Schweigens über sein Werk.
In Erstarrung gezwungen, harre ich unbeweglich, wie tot. Leere Weiten erstrecken sich endlos im zwielichtigen Schein.
In dunkler Ewigkeit erschöpft sich die restliche Zeit.
Nur das Pendel einer Uhr beweist ihren Fortgang, straft jedes Sterben Lügen.
Weit entfernt, hinter den von salzigem Regen blinden Scheiben, ist ein neues, sanftes Strahlen zu erahnen.

Die unglaublichen Abenteur von Sinus Snel - Part I

Sie klemmte.
In brenzligen Situationen, wenn man es mal überhaupt gar nicht gebrauchen konnte, dann klemmte sie immer.
Sinus Snel saß in seinem, mit hyperhybrid Motor angetriebenem Raumschiff und raste mit maximaler Geschwindigkeit auf Plasmujin zu.
Und seine Bremse klemmte.
Binnen 24 Trillionen Nanosekunden würde er auf die zwar relativ dünne, in seiner Situation dennoch sehr gefährliche Atmosphäre treffen und in ihr samt seinem Raumschiff und seiner defekten Bremse verglühen.
Falls nicht komplett, dann würden die reste der Kapsel nur leicht abgebremst weitersausen, irgendwo aufdonnern und dann einen kleinen Krater hinterlassen. Auch eine nette und äußerst effektive Art sein eigenes Grab zu schaufeln.
Sinus tippte wie ein Wahnsinniger auf seine Tastatur ein und trat zum x- ten Mal gegen die Bremse, doch die bewegte sich um keinen Deut.
Schneller als ihm lieb war sauste der Mond auf sein Frontfenster zu und schien ihn förmlich in Empfang nehmen zu wollen.
Vergiß es“, schrie er lauthals, löste hektisch seinen Sicherheitsgurt, stieß sich mit den Beinen an der Konsole ab und schwebte in den hinteren Teil seines Schiffs. Er setzte sich auf einen kleinen Hocker, legte einen Koffergurt um seinen Schoß und befestigte ihn an zwei Haken, die aus dem Stühlchen ragten.
Sein linker Zeigefinger legte sich auf einen signalroten Knopf, doch bevor er ihn drückte lugte er noch ein letztes Mal durch sein Schiff hindurch und sah den nun mitlerweile erschreckend groß aussehenden Mond gefährlich nah auf sich zurasen. Er meinte schon das Gebäude des Weltraumbahnhofes erahnen zu können.
Dann los!“
Sinus zog seinen Kopf ein und drückte den signalroten Knopf. Im nächsten Augenblick schloß sich eine runde Tür, die die kleine Kabine vom Rest des Raumschiffes trennte.
An ihrer Außenseite lösten sich schlagartig vier Metallplättchen, eine kleine Zündung ging los und lies die Kapsel samt Sinus und einem kleinen Koffer vom Raumschiff wegschnellen.
Leider brachen aufgrund der Beschleunigung, die Sinus auf einmal 176 Kilo wiegen lies, die Haken aus dem Stühlchen und er wurde mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert, blieb dort einige Augenblicke hängen, löste sich langsam, als die Beschleunigung nachließ und schwebte schlußendlich deutlich benommen in seiner Kapsel.
So verpasste er die letzten Sekunden seines ehemaligen Raumschiffes, welches immer noch ungebremst auf die Oberfläche des Plasmujin zuraste.
Als es mit seiner Atmosphäre in Berührung kam, verwandelte es sich in einen weiß – gelben Feuerball und binnen 3,78 Sekunden war es für immer verschwunden.
Lustiger Weise fand gerade auf dem Luho, dem höchsten Berg des Plasmujin, ein Volksfest statt. Angeheiterte Plasmujinbewohner und deren Gäste tanzen und sagen was das Zeug und gerade als die Feier ihren Höhepunkt erreichte erglühte am Himmel eine riesige und mächtige Sternschnuppe.

Sinus schwebte völligst erledigt in seiner kleinen Raumkapsel und dotzte ab und zu an die eine oder andere Wand, blieb aber davon total ungerührt. Kleine, rote und durchsichtige Kügelchen schwebten mit ihm durch den Raum und schienen sich auf wundersame Weise zu vermehren, beim genaueren Hingucken war jedoch zu erkennen, daß die roten Kügelchen ihren Ursprung an Sinus Hinterkopf hatten und nach und nach dort herausperlten, die durchsichtigen kamen aus seinem Mundwinkel.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin, schossen gleichzeitig aus drei runden Öffnungen im Boden rote Lichtstrahlen hervor und begannen systematisch die Kapsel abzusuchen.
Es muß wohl ein intergalaktischer Superzufall gewesen sein, der unseren Raumpiloten hier rettete.
Sinuss schlaffer Körper schaffte es tatsächlich zwischen den Lichtstrahlen hindurch zu schweben, ohne diese auch nur zu streifen.
Die kleinen organischen Kügelchen wurden zwar von den Lasern gescannt, die Oberflächenanalyse ergab jedoch, daß es sich nicht um gesuchtes Objekt handeln konnte und wurden somit in Ruhe gelassen.
Nachdem jeder Strahl genau 1/3 des Raumes abgesucht hatte, zogen sie sich wieder absolut gleichzeitig zurück und eine Antenne, die an einen winzigen Rechner angeschlossen war, sendete Daten quer durch den Galaktischen Raum zu einem ihm vorbestimmten Ziel.

Fünf Minuten später wachte Sinus auf.
Er öffnete die Augen.
Er sah nichts.
OK Verletzungen am Auge oder am Gehirn. Weitere physiologische Daten überprüfen. Finger?
Sinus bewegte seine Finger. OK. Füße?
Sinus bewegte seine Füße. In Ordnung. Kopf???
Sinus bewegte seinen Kopf und etwas rutschte von diesem Weg. Erschrocken drehte er sich drei mal um sich selbst und entdeckte dann, was ihm auf den Augen gelegen hatte: Das Kofferband, an dessen Enden sich die herausgebrochenen Haken befanden.
Er sah sie sich genauer an. Dann bewegte er sich zum Hocker und besah sich das gesplitterte Holz.
Dilettanten.
Eine kleine, rote Blutkugel verirrte sich vor Sinuss Gesicht.
Sie schwebte an ihm vorbei und gesellte sich zu einer weiteren, mit der sie sich geräuschlos vereinigte.
Sinus schaute an seinem Körper herunter, tastete sich ab, bis er im hinteren Bereich seines Kopfes eine warme, weiche Stelle auf einer deutlichen Erhebung vorfand.
Na herzlichen Glückwunsch.
Übelkeit stieg in ihm auf.
Sinus stieß sich in Richtung eines Regals und schnallte dort einen silbergrauen Metallkoffer ab.
Dann stieß er sich mit ihm von der einen Wand ab und dotzte gegen die gegenüberliegende. Den Koffer in der rechten, steckte er seinen linken Arm durch einen Griff und zwar so weit, daß dieser fast bis zur Schulter drin steckte. Dann öffnete er den Koffer. Drinnen lag ein weiteres Band, daß er sich um die Hüfte schlang und rechts und links an zwei Ösen befestigte.
Die Kapsel begann vor seinen Augen zu flimmern.
Verdammt. Beeil dich.
Er zog eine Antenne aus und drückte das „ON“ Zeichen auf einer kleinen Tastatur. Darauf hin begann es zu fiepen und zu blinken, bis der Minicomputer hochgefahren war.
So du Wunderwerk der modernen Universalraumtechnik. Nun zeig mal was du kannst.
Er zog aus dem Deckel eine Broschüre, auf der „Gebrauchsanweisung“ zu lesen war.
Er schlug das Inhaltsverzeichnis auf.
N. Network, Nimbus, Nitropenta, Nodalität, da: Notruf. Sehr gut. Seite 78.
Er blätterte die Seite auf.
Ihm wurde schlecht.
Bitte nicht.
Notruf empfangen:
Nein!
Er blätterte eine Seite weiter.
Notruf senden:
Danke!
Fahren sie den Computer hoch, indem sie auf „AN“ drücken.
Sein Magen rumorte.
Öffnen sie das Programm „hilfe hochfahren“ indem sie klar und deutlich „hilfe hochfahren“ sagen.
„Hilfe hochfahren.“ hauchte Sinus.
Eine metallische Frauenstimme tönte aus dem seitlichen Lautsprecher des Computers.
Die automatische Spracherkennung hat sie leider nicht verstanden. Bitte wiederholen sie ihr Anliegen.“
Hile ho...“
„Die automatische Spracherkennung hat sie leider nicht verstanden. Bitte wiederholen sie ihr Anliegen.“
Sinuss Magen drehte sich zweimal um sich selbst, während er panikartig versuchte seinen Arm aus dem Griff zu ziehen. Nachdem er ihn fast ausgekugelt hatte, gelang es ihm, er drehte sich vom Koffer weg und fand sich ein paar Minuten später Angesicht zu Angesicht mit seiner letzten Mahlzeit.
Sinus atmete hörbar ein und aus.