Ein Löffel plingte ans Glas, das Plappern der Hochzeitsgesellschaft verstummte langsam, es wurde still und alle blickten mit erwartungsvollen Augen auf die Mitte der Festtafel.
Mein guter Freund Heiko heiratete und während ich fast einem Liter Pernod ein neues, warmes zu Hause gab, lauschten 69 weitere Gäste, deren 25 Kinder, 3 blonde Bedienungen und eine Band mehr oder weniger aufmerksam den ausschweifenden Erzählungen des Brautvaters.
Das Anwesen, welches den Feierlichkeiten platz bot, umfasste ein Restaurant mit ausgebautem Weinkeller, einen illuminierten Garten mit Bestuhlung und ein angrenzendes Hotel, in welchem alle, die eine etwas längere Anfahrt hinter sich hatten, nächtigen würden.
Dieser Luxus blieb mir jedoch verwehrt, da meine Wohnung nur etwa sieben Minuten vom Gutshof entfernt lag.
Dies war auch der Grund, weshalb ich um so verwirrter war, als ich mich plötzlich, zu einer undefinierbaren Zeit auf einem pernodgetränkten Duschvorleger in einem fremden Bad wieder fand.
Ein säuerlicher Anisgeruch ging von den buschigen Kunstfasern aus, die bis in meine Nase ragten.
Ich winkelte meine Arme an, nahm alle Kraft zusammen und mit einem schmatzenden Geräusch entfernte sich meine rechte Backe von ihrem saftigen Untergrund.
Mich an der Handtuchstange festhalten, zog ich mich nach oben, um dann auf wackeligen Beinen meinem Spiegelbild gegenüberzutreten.
Ich hatte geschwollene, blutunterlaufenen Augen, war teilweise mit einer klebrigen Substanz überzogen und kleine, schleimige Bröckchen hingen unregelmäßig verteilt an Haut, Haaren und meinem schwarzen Anzug.
Ich drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf und hielt meine Hände unter den satten Strahl.
Danach bückte ich mich und quetschte meinen Kopf in das Becken. Als das eiskalte Wasser meine Haut berührte, durchzog sogleich ein pochender Schmerz meinen Hinterkopf, und ich konnte nicht anders, als laut aufzustöhnen.
Immerhin holte mich dieser Schmerz ein wenig in die Realität zurück und führte mich unweigerlich zu der Frage, was ich hier eigentlich tat.
Die letzten Erinnerungen, die ich mir vor Augen führen konnte, waren schwammige Bruchstücke nicht zuzuordnender Ereignisse.
Was auch immer geschehen war, das sinnvollste wäre nun ein Taxi zu nehmen, den Rausch auszuschlafen und dann still zu hoffen, daß nichts schlimmeres passiert war.
Zunächst mußten jedoch sämtliche Reste von Kleidung und und Haut entfernt werden.
Ich ergriff das weiße Frotteehandtuch und säuberte mich notdürftig.
Da ich der Meinung war, daß sich sicherlich niemand mehr die Hände damit abtrocknen wollte, schmiß ich es in die Badewanne.
Dann lehnte ich mich an die Tür und lauschte.
Nichts. Kein Geräusch war zu vernehmen.
Ich drückte die Klinke nach unten, als ich doch noch einen unscheinbar winzig kleinen Laut zu hören glaubte.
Verunsichert ob ich meiner Wahrnehmung trauen konnte, presste ich mein Ohr fester an das kalte, weiße Holz und hielt den Atem an.
Doch ein aufsteigender Würgereiz machte es mir unmöglich mich ausreichend zu konzentrieren. Ich stürzte zur Toilette und entledigte mich der letzten Reste, die mein Körper teils dankbar, teils widerstrebend von sich gab.
Insgeheim war ich froh, daß sich dieses Drama nicht in meinen eigenen vier Wänden abspielte.
Als die Krämpfe irgendwann nachließen, kroch ich wieder zur Tür, horchte und als ich abermals nichts vernahm, hob den rechten Arm, drückte die Klinke nach unten und öffnete die Tür so weit, daß mein linkes Auge einen Blick hindurch werfen konnte.
Dunkel.
Zumindest fast.
Eine schmale Linie aus Licht zeichnete sich auf dem Boden ab. Sie begann etwa drei Meter von mir entfernt. Ich verfolgte sie weiter um ihren Ursprung ausfindig zu machen und entdeckte, daß diese Linie direkt auf mich zukam. Panikartig wurde mir bewußt, daß ihre Existenz von der Milchglaslampe über mir herrührte.
Meine linke Hand tastete sich an der befliesten Wand nach oben, fand einen Schalter und drückte ihn.
Absolute Finsternis.
Im gleichen Augenblick schien ich mich plötzlich auf einem in Seenot geratenen Schiff zu befinden.
Ein unglaublicher Wellengang brachte mich zum taumeln und ich verlor jegliche Orientierung.
Ich tastete den Boden ab, fühlte Fliesen, tastete weiter und stieß auf ein Hindernis. In der Hoffnung, daß es sich um die Tür handelte, versuchte ich es aufzuschieben. Es gelang mir und so kroch ich aus dem Badezimmer heraus.
Ich kniff meine Augen zusammen.
Ich meinte den Schimmer eines Schimmers in einiger Entfernung vor mir ausmachen zu können.
Ich nahm an, daß es sich um Licht, daß durch den Spalt unter einer Tür einfiel, handeln könnte. Es war jedoch so schwach, daß es nicht mehr, als die Härchen des Teppichs auf die es traf, beschien.
An der einzigen Orientierung festhaltend, kroch ich weiter, meinen rechten Arm als Fühler voraus streckend. Nach etlichen Zentimetern ergriff dieser Arm etwas weiches, kühles, daß sich wie Satin anfühlte.
Ein winziges Geräusch, daß nicht einmal die Größe des Lichtschimmers hatte, lies mich in meiner voraustastenden Position verharren. Es war wie eine Art singender Windhauch.
Ich konzentrierte mich darauf selber völlig stumm zu bleiben, als sich in meinem Gehirn zwei Synapsen wieder aneinander schlossen um den Weg zu einem Erinnerungsbruchstück frei zu schalten.
Vor meinem geistigen Auge legte sich auf den kühlen, weichen Stoff, den meine Hand griff, ein seidiger, grüner Schimmer.
Glänzendes, helles Grün, daß sich spannt, dann glockig fällt, sich dreht, verhüllt und doch die darunter liegenden Formen frei gibt.
Ganz langsam öffnete sich meine Hand und lies den Stoff los, die Erinnerung jedoch blieb und erzeugte eine neblige Stimmung aus Neugier und schalen Schuldgefühlen.
Noch langsamer aber auch wesentlich unsicherer kroch ich weiter, bis mein Knie mit vollem Gewicht auf einen harten, spitzen Gegenstand stieß und ich sogleich zur Seite fiel, wie ein betäubter Kater.
Ein typischer Musikknochenschmerz durchzog die Stelle und ich hielt die Luft an, damit sämtliche Geräusche, die aus mir raus wollten, im Keim erstickten.
Nachdem die erste Benommenheit verzogen war, tastete ich nach dem Mordinstrument und umfasste ein glattes, ausgehöltes Objekt, mit langer bleistiftdünner Spitze, welches einem Frauenschuh nicht unähnlich war.
Angeregt durch diese klare Form, entschlossen sich ein paar weitere Erinnerungszellen zur Aktivierung und legten ein jungfräuliches Weiß auf den Schuh, und ließen ihn darauf hin wippen und springen. Sie legten ihn auf meine schwarze Hose, ich musterte ihn eingehend und sah, daß ein zarter, mit Nylon überzogener Knöchel aus ihm ragte. Mein Blick wanderte höher, glitt die Wade entlang und als ich schon hoffte, das grüne Satinkleid zu erkennen, wanden sich weiße Wellen um die glatten, runden Knie, und liefen am Saum aus.
Verwirrt durch diese Tatsache, schlussfolgerte ich eine knallharte These:
Das grüne Kleid und der weiße Schuh gehören nicht zusammen.
Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf meiner Haut und ich realisierte, daß diese Erinnerung drauf und dran war meine komplette Amnesie zu beheben.
Tatsächlich lag mir jedoch nicht mehr das geringste daran zu erfahren, was sich oberhalb des weißen Meeres befand, mein einziger Gedanke galt einem möglichst schnellen und unbemerkten Abgang.
Ich legte den Schuh auf den Boden zurück und ging wieder auf alle viere.
Ich tapselte recht unbeholfen die letzten Meter, zog mich am Knauf der Tür nach oben und drehte ihn mit äußerster Vorsicht nach rechts. Die Halogenflut sog mich auf den Flur und als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, büxte mein Blick noch einmal aus und traf auf grüne Hügel und weiße Spitzen, auf nylonglänzende Wege, geringelte Flüsse aus goldenem blond und einem Wasserfall aus schwarz.
Dazwischen schlafende Glieder, schlaff aus Erschöpfung.
Das Bild engte sich ein, als der Lichtkegel enger wurde und kurz bevor das Schloß einrastete, vernahm ich ein letztes Mal das Seufzen.
Mein gesenkter Blick entdeckte, daß meine Hose nicht vollständig verschlossen war und ich machte mich gerade daran zu schaffen, als mich die Menge am Ende des Ganges erblickte.
„Dahin haben sie die Braut entführt.“
Der wahnsinnige Mob rannte auf mich zu, es warf mich zu Boden, Hände tasteten mich ab und Körperflüssigkeiten schlugen mir ins Gesicht.
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