Prolog
„Jetzt mach schon,“ sagte Edgar und schaute mit gequältem Blick nach oben zu Bill, „leichter wirst auch du nicht.“
„Hmmmmnnnaaaaahhhhhh,“ machte dieser, während er sich reckte und streckte und seinen linken Arm immer weiter nach oben schob.
„Wackel doch nicht so, ich fall gleich um,“ Edgar schüttelte den Kopf, „oh man oh man, wäre ich doch einfach liegen geblieben. Ich will nie wieder was wissen, wenn das so anstrengend ist, die Antwort zu finden. Oh man oh man, wäre ich nur im warmen Bett geblieben.“
Er reckte den Kopf: „Jetzt mach halt. Los.“
Bills Finger waren bis auf das äußerste gespreizt, doch er konnte den Knauf nicht erreichen. Es fehlte ihm etwa ein Zentimeter und so sehr er sich auch dehnte, er war einfach zu klein.
Er schaute runter auf seinen Cousin, der mittlerweile rot angelaufen war.
Wer behauptete eigentlich, daß er immer zu klein sei? Wäre Edgar etwas größer, würde er den Knauf wunderbar erreichen!
Er schaute wieder hoch, auf die goldene Klinke, dann runter auf seine Füße, die auf Edgars Schultern standen. Dann schaute er auf dessen Kopf. Edgar hatte die Augen nun geschlossen und schien sich auf das äußerste zu konzentrieren.
„Bill, mach hinne. Ich kann nicht mehr. Ich meins ernst.“
Bill schaute auf die Schultern, er schaute auf den Kopf, wieder auf die Schultern, wieder auf den Kopf,.... na klar, das war die Lösung!
„Jetzt mach!“ Edgar keuchte nur noch und seine Knie
fingen an weich zu werden.
Bill trat mit seinem grün besockten Fuß kurzerhand auf Edgars Kopf, der darauf hin aufschrie und regelrecht ins Wanken geriet. Doch Bill war nun ein gutes Stück größer, erreichte die Klinke und drückte sie nach unten.
In dem Moment verließen Edgar alle Kräfte, seine Beine sackten ein, er fiel nach hinten und öffnete somit die Tür.
Bill, der sich noch am Knauf festhielt, schwang mit der Tür in den Raum hinein und hing schließlich wie ein nasser Sack an der Klinke.
Edgar lag auf dem Rücken und sammelte sich wieder. Er atmete tief durch und drehte sich dann um.
„Oha!“
Was er erblickte verschlug ihm die Sprache.
Bill folgte seinem Blick und plumpste vor Schreck auf den Boden.
„Autsch.“
Wie geht's weiter?
Susanna klappte das Buch zu.
„So Jungs,. Ich muß jetzt mal kurz austreten.“
„Waaaas???“, erklang es entrüstet aus vier Kehlen gleichzeitig.
„Waaaas???“, erklang es entrüstet aus vier Kehlen gleichzeitig.
Gregor, Edgar und Bill saßen, in eine kuschelige Wolldecke gehüllt, auf dem Sofa. Vor ihnen standen Tassen mit dampfend-heißem Kakao und ein Berg verschiedenster Plätzchen türmte sich in einer Kristallschüssel.
Onno hingegen hatte es sich auf der Lehne des Ohrenbackensessels gemütlich gemacht, auf dem die große Schwester von Gregor saß, denn so konnte er auch ins Buch gucken und mitlesen.
Doch nun schauten sie alle mit entsetzt aufgerissenen Augen Susanna an.
„Jetzt wo's am spannendsten ist. Manno.“
Susanna grinste, „ihr werdet es schon überleben, Gregor. Bin ja gleich wieder da.“
Damit stand sie auf und ging.
„Mann!“
Bill, der auch noch eine Weihnachtsmütze auf dem Kopf hatte, nahm sich einen Keks und schlürfte danach genüsslich seinen Kakao.
„Und wie ist die Magd jetzt verschwunden?“ frage Edgar und langte ebenfalls nach seiner Tasse.
„Na, die ist jetzt ein Geist,“ sagte Gregor während er sich bückte und seinen Filzpantoffel wieder über den Fuß schob.
„Aber was ist dann mit ihrem Körper passiert?“
Gregor seufzte „wenn Susanna nicht gleich wieder kommt erfahren wir das nie.“
„Wo bleibt die denn?“
„Mann, Mädchen brauchen aber auch immer so lange, mann.“
Gregor und Edgar ließen ihre Daumen kreisen.
Bill trank weiter und mit jedem Schluck verschwand sein Kopf etwas mehr in der Tasse.
Gregor sprang auf: „Komm wir suchen so lange, was es war.“
„Das ist Susannas Buch, Gregor. Laß es lieber liegen, “ sagte Edgar und schob nervös seine Brille zur Nasenwurzel.
„Wieso, ich mach doch nichts. So'n bißchen blättern merkt doch keiner.“
Gregor lehnte sich über den Tisch und schob das Buch zu sich.
Edgar hüpfte ebenfalls vom Sofa.
„Die kommt doch bestimmt gleich wieder.“
„Na und?“
Gemeinsam standen sie nun vor vor dem kleinen Holztisch und blickten hinab auf das große, rote, in Leder eingebundene Buch.
Gregor fuhr mit dem Finger die goldenen, eingestanzten Buchstaben entlang.
Die Chronik
„Was das wohl heißt?“
„Das sind Hüroglüfen.“
„Was?“ Gregor verzog das Gesicht und schaute Edgar skeptisch an. Nur zu gerne warf dieser mit komischen Wörtern um sich und behauptete immer alles zu wissen.
„Na so Zeichen. Zeichen mit denen man auch schreiben kann. Das haben die nämlich früher immer gemacht.“
„So'n Quatsch.“
„Doch, wetten?“
Bill reckte neugierig seinen Kopf, konnte aber außer den Rücken von Gregor und Edgar nichts sehen. Er setzte die Tasse ab, zog seine extra dicken, grünen Wollstrümpfe nach oben, nahm sich noch einen Keks und rutschte von der Couch hinunter. Dann drückte er sich zwischen die beiden.
Onno, der die ganze Zeit auf seiner Lehne gelegen hatte, streckte sich und schwebte dann ganz gemächlich über die drei und schaute mit ins Buch.
„Egal was das jetzt heißt, bestimmt steht da nicht die Lösung, wer es war.“
Mit einem leisen Knarzen schlug Gregor den Buchdeckel zur Seite.
„Da steht ja gar nichts.“ verwirrt schaute er die erste Seite an.
„Du mußt eben weiter blättern.“
Er blätterte eine Seite weiter:
Kapitel 1
„Mmmhm, und was steht da jetzt?“
Edgar begutachtete die Schrift eingehend.
„Also ich würde mal sagen, daß ist kein deutsch.“
„Würde ich auch sagen.“
Gregor blätterte noch weiter:
Es war an einem Abend im Dezember, als die Familie zusammen saß und speiste.
„Also, ich erkenne da gar nichts, “ sagte Gregor und umfaßte mit beiden Händen seine Backen.
Edgar ging mit dem Kopf ganz nah an das Buch heran: „Also, waaaarte mal...“ sagte er und kniff die Augen zusammen.
„Kannst du das lesen?“
Gregor blickte Edgar erwartungsvoll an.
Der nahm seine Brille ab und hielt sie wie eine Lupe über das erste Wort. Dann zog er seine Lippen zum Kußmund zusammen und wiegte seinen Kopf.
„Also,... ich würde mal meinen,... der zweite Buchstabe ist ein,... „s““, sagte er und dehnte dabei die Vokale viel sagend.
„Und weiter?“
„Mooooment“, Edgar beugte sich noch tiefer über den Tisch und berührte nun mit der Nasenspitze das Papier.
Gregor tappte unruhig vom einem Bein auf das andere.
„Du ißt ja gleich das Buch auf, so kann man doch gar nichts erkennen.“
In dem Moment landeten mehrere Kekskrümel und ein Kleckser rote Marmelade neben Edgars Kopf.
„Oh, oh.“
Er richtete sich wieder auf.
Bill hatte von seinem Keks etwas abgebissen und schaute nun von Gregor zu Edgar und von Edgar wieder zu Gregor und bemühte sich möglichst unauffällig zu kauen und schluckte schließlich den Keks fast im Ganzen hinunter.
„Das ist jetzt extrem schlecht.“ Edgar versuchte die Krümel wegzuwischen und verteilte dabei die Marmelade quer über die Seite.
„Ups.“
Gregor riss die Arme hoch: „Du verschmierst ja alles, oh nein.“
Edgar horchte auf: „Oha.“
„Was ist denn?“
„Die Klospülung!“
„Mist.“
Susanna schloß die Badetür, drehte sich um und erschrak fürchterlich.
Zwei riesige Knopfaugen schaukelten vor ihr und blickten sie an.
„Onno?! Was machst du denn hier?“
Onno schwang sich herum und gondelte den Flur entlang in Richtung Küche. Susanna folgte ihm Stirnrunzelnd.
„Mit Spucke geht das nie weg.“
Edgar schaute skeptisch zu Gregor, der mit nassem Finger auf dem Fleck herumrubbelte.
„Wie denn sonst. Wir können ja schlecht Kakao drauf machen.“
Edgar verschränkte seine Hände auf dem Rücken und ging einmal, während er nervös an seiner Unterlippe kaute, um den Tisch.
„Oh mann, oh mann, ewig wird die auch nicht in der Küche brauchen.“
Er kam wieder zu Gregor und schaute ihm über die Schulter „und?“
„Ich glaub so geht's. Vielleicht merkt sie es ja gar nicht.“
Susanna stand in der Küche .
„So, Onno, hier hast du auch noch einen Kakao mit Strohhalm. Prima. Jetzt laß uns aber weiter lesen.“
Gregor, klappte das Buch zu und sprang zurück auf das Sofa. Bill saß bereits wieder dort und trank aus seiner Tasse, um den riesigen Keksbrocken in seinem Hals runter zu spülen.
Edgar schob noch mal seine Brille hoch, drehte das Buch dann in Richtung des Sessel und hopste auch auf die Couch.
Als Susanna und Onno reinkamen wurden sie von drei weißen Zahnreihen und einem Kakaobärtchen empfangen.
Susanna nahm das Buch, schlug es in der Mitte auf und blätterte zurück, bis sie beim zweiten Kapitel war.
„So“, sagte sie und schaute alle drei feierlich an, „weiter geht's.“
Dann plumpsten vier kleine Steinchen von vier kleinen Herzchen.
Die Legende
Es war dunkelste Nacht.
Onno wiegte sich sanft unter der Zimmerdecke und sang im Schlaf.
Bill hatte sich zusammengekugelt und schnarchte zufrieden. Seine riesige Daunendecke verbarg ihn völlig und nur seine rote Weihnachtsmütze lugte darunter hervor.
Edgar starrte an die Decke.
Er lag hier mit seinen Freunden und seinem Cousin in der Holzhütte und sollte morgen früh tatsächlich wieder nach Hause fahren. Das war aber auch zu blöd.
Auch wenn morgen Weihnachten war.
Fünf Tage war es nun her, daß sie mit dem Zug und allerhand Gepäck (das meiste hatte dann doch Susanna gehabt) unten im Dorf angekommen waren.
Unter Ächzen und Stöhnen waren sie den langen Weg zur Hütte hinaufgestapft und eine alte, zierliche, ja fast durchsichtige Frau hatte sie erwartet und ihnen den Schlüssel überlassen.
„Viel Spaß hier oben,“ hatte sie ihnen bei Verlassen noch zugerufen und Edgar war sich sicher ein seltsames Grinsen in ihrem Gesicht gesehen zu haben.
Susanna schien nichts bemerkt zu haben, aber als er Gregor, Onno und Bill beim Kofferauspacken darauf angesprochen hatte, waren sie alle der Meinung, daß mit der alten Dame etwas nicht stimmte.
Später hatten sie dann erst mal eine ordentliche Schneeballschlacht gemacht und nach einem leckeren Abendessen mit Früchtebrot und süßem Sirup hatten sie noch „Mensch ärgere dich nicht gespielt“. Onno hatte gewonnen und Bill hatte schließlich das ganze Brett umgeworfen.
Am zweiten Tag waren sie dann Schlitten gefahren und das war eine Riesengaudi gewesen.
Zu viert hatten sie sich auf die Holzkonstruktion gequetscht und vor Vergnügen geschrien und gejohlt.
Abends, nach einem Kartoffelauflauf mit Würstchen, hatte Susanna dann dieses uralte Buch in einem schon ziemlich schiefen Schrank gefunden und ihnen daraus vorgelesen.
Und das war so richtig spannend gewesen.
Es handelte von einer Begebenheit, die sich wohl vor Jahren auf dieser Hütte zugetragen hatte.
Eine reiche Familie hatte hier gewohnt und eine Dienstmagd war bei ihnen angestellt.
Die hatten die feinen Herrschaften gar nicht gut behandelt und einmal dann, als sie irgendetwas getan hatte, was der Familie nicht gefallen hat, haben sie sie in den Keller gesperrt.
Dann kam die Nachricht, daß die Tante in Heidelberg verstorben sei und in der ganzen Aufregung haben sie die Dienstmagd dann vergessen und sind, ohne sie auszusperren, nach Heidelberg gereist.
Dann hatten sie Streit mit dem Erbe und sind deshalb einen ganzen Monat dort geblieben. Doch nicht einer dachte an die arme Dienstmagd.
Die vegetierte in ihrem Kellerverlies vor sich hin, ohne Trinken und ohne Essen.
Sie hat an die Tür gehauen und um Hilfe geschrien, doch weil die Hütte so einsam ist, hat sie niemand gehört.
Alles was sie dort unten hatte, war eine kleine Lampe aus Glas.
Als sie sich sicher war, daß sie diesen Raum niemals lebend verlassen würde, schmiedete sie einen Plan.
Denn wenn die feinen Herrschaften sie finden würden, würden sie ihre Leiche verstecken und niemals dafür büßen müssen. Doch das sollte nicht sein.
Als die Familie aus Heidelberg zurück kam, sah sie, daß das ganze Haus verdreckt war und das Essen in der Küche verschimmelt. Da erinnerten sie sich an ihre Magd, und daran, daß sie sie eingesperrt hatten.
Voller Angst und Ekel begab sich der Vater in den Keller und schloß mit zittriger Hand das Verlies auf.
Was er dann sah, lies ihm seine Haare auf einen Schlag ergrauen.
Die Kleider der Magd waren noch da, doch ihr Körper verschwunden.
Statt dessen lag die Lampe zerbrochen auf dem Boden und in die Wand schienen mit einem blutigen Glassplitter Wörter hineingeritzt.
Ihr werdet es büßen!!!
Die Mutter fiel Ohnmacht und von dem Tag an konnte kein Mitglied der Familie mehr ruhig schlafen und Angst und Schmach ließen alle sehr schnell altern und dennoch starben sie alle erst viele, viele Jahre später und litten somit ihr ganzes Leben lang.
Doch das Rätsel um die verschwundene Magd konnte niemand lüften und so ging die Legende, daß sie als Geist den Herrschaften das Leben schwer machte und seid damals in der alten Hütte spuckt.
Dann hörte ein junger Mann, nämlich das Kind der Magd, daß sie heimlich zur Welt gebracht hatte, von diesem Gerücht und schwor sich, der Wahrheit über seiner Mutter auf die Schliche zu kommen.
Er wanderte zur Hütte auf dem Berg und fand ein altes Buch, daß in rotes Leder gebunden war und auf dem mit goldenen Lettern „Das Verlies“ stand und las die Geschichte....
Nachdem sie das gelesen hatte, war selbst Susanna im Gesicht schneeweiß geworden und meinte dann, es reiche nun für heute.
Alle waren ganz still gewesen und hatten sich furchtbar gegruselt und Susanna hatte dann vorgeschlagen noch ein Spiel zu spielen und nachdem Gregor drei mal bei Mau Mau gewonnen hatte, hatten sie alle die Geschichte etwas vergessen und waren zu Bett gegangen.
Doch wie um Himmels Willen sollte er nun entspannte Weihnachten verbringen, wenn er doch die ganze Zeit darüber rätseln würde, wie die Geschichte ausging? Wenn er doch nur das Buch hätte.
Irgendwie würde er das schon lesen können.
Er mußte einfach wissen wie es ausging.
Verdammt.
Die Wege ins Kaminzimmer
Edgar richtete sich auf und beugte sich über die Bettkante. Unter ihm lag Gregor und schien zu schlafen.
Vielleicht sollte er ihn wecken, damit sie zu zweit waren, wenn Susanna sie erwischen würde.
Vielleicht würde Gregor aber auch sagen, wie blöd er die Idee fände und dann würde er es doch nicht mehr machen. Das Risiko war zu groß, er mußte es alleine schaffen.
Bill durfte auch unter keinen Umständen aufwachen, der würde noch das ganze Haus wecken.
Er schaute an die Decke.
Onno tänzelte mit geschlossenen Augen umher und schien zu träumen.
Prima! Jetzt oder nie.
Unter höchsten Vorsichtsmaßnahmen setzte Edgar seinen nackten Fuß auf die erste Stufe des Hochbettes.
Nichts knarrte, sehr gut.
Langsam, aber wirklich ganz langsam begann er seinen Abstieg und versucht dabei möglichst nicht zu atmen oder sonstige unnötige Geräusche von sich zu geben.
Stufe um Stufe kletterte er hinab und pausierte immer wieder, um zu horchen, ob sich irgendetwas tat.
Geschafft!
Seine Zehen berührten den Parkettboden.
Fast anmutig schlich er sich zur Tür und schaffte es die Klinke so herunterzudrücken, daß sie nicht einen einzigen Ton von sich gab. Er öffnete die Tür so weit, daß er sich gerade eben mit eingezogenem Bauch und schief gelegtem Kopf hindurchpressen konnte.
Der Flur war dunkel und still.
Mit Schaudern dachte er an die Dienstmagd und auf einmal schien er unfähig sich auch nur einen Zentimeter weiter bewegen zu können.
Wenn sie nun wirklich hier spuckte und ihn entdeckte...
Aber so würde er niemals Einschlafen können. Außerdem war es doch nur ein Buch, oder?
„Komm Eddi, du schaffst das,“ sagte er zu sich und zwang sich die Tür hinter sich zu schließen. Vollkommene Dunkelheit erfasste ihn nun. Mit zittriger Hand tastete er nach dem Lichtschalter.
Als die kleine Deckenleuchte den Gang erhellte atmete er erleichtert durch und machte sich auf den Weg .
Als er an Susannas Zimmer vorbei kam, legte er den Kopf an die Tür lauschte.
Nichts zu hören, sehr gut.
Er schlich weiter ins Kaminzimmer, schaltete die Stehlampe an, löschte das Flurlicht, schloß die Tür und setzte sich auf den samtigen Sessel.
Da lag es.
Majestätisch und geheimnisvoll ruhte das Buch auf dem Tisch und sein intensives Rot schien von innen heraus zu leuchten.
Ängstlich streckte Edgar seine Hand aus und erwartete das irgendetwas passieren müßte, wenn er es berührte. Doch als er seinen Finger auf das kühle Leder legte, geschah nichts.
Er konnte es sogar aufschlagen und es verhielt sich wie ein ganz normales Buch.
Fast.
Edgar schaute sich die Buchstaben genauer an und rieb sich die Augen.
„Oh nein,“ dachte er „das ist jetzt aber bitte nicht wahr.“
Wie konnte man nur so verdammt blöde sein und das Hirn im Bett lassen?
Er atmete tief durch und stand wieder auf.
War das nervig jetzt.
Er schlich wieder mit der gleichen Bedachtsamkeit zurück, presste sich durch die Tür, lauschte, ob noch alles schlief, befand die Situation für ungefährlich, stakste zum Tisch, angelte sich seine Brille und schwups, rollte ein Gummiball herunter.
Zu dumm.
Mit mehreren Plopps sprang er über den Boden. Blitzschnell streckte Edgar seine Hände aus, doch durch die Dunkelheit konnte er ihn nicht gleich fangen. Schlußendlich gelang es ihm doch und mit pochendem Herzen und gespitzten Ohren erstarrte er in seiner Haltung.
War da was?
Hörte er ein Rascheln?
Hatte jemand seine Atmung verändert?
Nichts, immer noch die gleiche Nachtruhe wie zuvor.
Edgar atmete aus. Den Gummiball nahm er sicherheitshalber mit. Zum zweiten Mal machte er sich nun auf den Weg zum Buch.
Gregor schmatze und öffnete die Augen. Er wußte nicht was ihn geweckt hatte, aber er hatte Durst.
Die vielen Plätzchen schmeckte er noch im Mund und sein einziger Gedanke galt einem kühlen, frischen Schluck Milch aus dem Kühlschrank.
Er warf die Bettdecke beiseite, latschte durchs Zimmer und ging in die Küche.
Er holte sich die Tasse mit dem dem Eisbären, goß sie bis obenhin voll und trank sie gleich halb leer.
Sogleich breitete sich eine angenehme Frische in Mund und Hals aus. Das war gut. Auf einmal fühlte er sich hellwach.
Da kam ihm eine Idee.
Er nahm seine Tasse und ging auf den Flur.
Er blieb stehen und stutze.
Im Wohnzimmer brannte Licht. Das sah er ganz deutlich durch die Ritze unter der Tür.
Automatisch dachte er an Susannas Geschichte und an die Dienstmagd und er war sich sicher, daß nun seine letzte Stunde geschlagen hatte. Aus seiner Erstarrung erwachte er erst, als etwas kaltes auf seinen Fuß floß.
Er hatte die Tasse schräg gehalten, so ein Mist.
Er rubbelte seinen Fuß an der Schlafanzughose trocken und ging auf die Tür zu. Mit schweißnassen Händen berührte er die Klinke und schob die Tür ein wenig auf.
Was er nun sah, hätte er in hundert Jahren nicht erwartet.
Sein bester Freund Edgar saß Plätzchen kauend auf Susannas Sessel und war über das Buch gebeugt.
„Was machst du denn hier?“
Edgar schreckte hoch und verschluckte sich fast den Keksen.
Als er Gregor erkannte sackte er wieder zusammen.
„Boah, hast du mich erschreckt.“
Onno erwachte.
Wie immer, wenn er das tat, fühlte er sich, als würde er aus einer warmen Badewanne in eine kalte Umgebung steigen.
Denn wenn Onno schlief, träumte er nicht einfach, wie jeder andere, nein, wenn Onno schlief war es eine Symphonie.
Es war wie Dur und Moll zugleich.
Es war wie ein Orchester, das mit traumwandlerischer Sicherheit eine Ouvertüre der schwingenden Töne improvisiert.
Er flog er in bunten Wolken, durchquerte rosafarbene Himmel, war umduftet von Zuckerwatte und zarte Fäden aus gelber Wonne und türkisfarbener Leichtigkeit benetzten seine Haut.
Dann stiegen Ballons nach oben, sphärisch - goldene Klänge wiegten sich in der watteweichen Luft und milde Schwaden lächelnder Heiterkeit waberten kichernd umher.
Breite Teppiche eines einzigen Geigenklangs strichen umher und kleine Bällchen aus Flötentönen sprangen frech darauf herum, wie auf einem Trampolin.
Ein riesiges harfenfarbenes Meer überzog die Landschaft bis zum Horizont. Darin konnte man sich wiegen und schaukeln und wenn man ganz tief tauchte vibrierten einem die dunkelbraunen Klänge der Bässe entgegen.
Onnos Erleben war kein Traum.
Es war eine andere Realität, die in seinem Leben die gleiche Berechtigung hatte, wie die, in der er mit seinen Freunden Schlitten fuhr, oder Würstchen mit Kartoffelgratin aß.
Und irgendetwas aus letzterer hatte ihn soeben geweckt. Aber Onno wußte nicht genau, was es war. Er spürte nur eine Welle des Erschreckens auf sich zukommen, konnte aber ihren Ursprung nicht direkt ausmachen. Er schien jedoch nicht in diesem Zimmer zu sein.
Er flog über das Hochbett und sah zugleich, daß die Bettchen von Edgar und Gregor leer waren.
Er war sich sicher, warum sie aufgestanden waren, zumindest bei Edgar, der hatte den ganzen Abend regelrecht gewummert. Das hatte Onno selbst so nervös gemacht, daß er sich gar nicht mehr auf das Spiel konzentrieren konnte.
Und nun waren die beiden Jungs weg und suchten nach dem Geheimnis. Und die Schauderwelle lies Onno ahnen, daß sie schon etwas gefunden hatten.
Er brauchte sich nicht nach Bill umzudrehen, er hörte und spürte, daß der Kleine im Schlaf gluckste und gerade einen winzigen Pupser los lies.
Einen Moment lang überlegte er, ob er ihn wecken sollte, entschied sich aber dann dagegen.
Er segelte auf den Flur und roch die kleine Milchpfütze, die noch auf dem Boden war.
Die Welle des Schreckens war etwas abgeklungen, hier aber deutlicher zu spüren. Er war sich sicher, daß sie sich unter der Kaminzimmertür hervorschob.
Als er diese öffnete blickten ihn zwei Paar aufgerissene Augen an.
Das rote Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch.
Onno lies einen hellen, kurzen Seufzer los.
Sie hatten es also schon entdeckt.
Bill zog seine grünen Wollstrümpfe an. Er mußte aufs Klo und zwar dringend.
Wäre er doch nur vor dem Schlafengehen noch mal gegangen, er hatte nämlich gerade so schön geträumt, daß er auf einem weißen Einhorn geflogen wäre und dann hätte er auf einem riesigen Berg aus Plätzchen gesessen und alle vier wären gekommen und hätten ihm jeder ein Geschenk gebracht und er hatte gerade angefangen auszupacken.
Er ging über den Flur ins Bad.
War das kalt hier.
Bill klappte den Klodeckel nach unten, stieg darauf und reckte sich zum Fenster. Er kam nicht dran.
Er streckte seine Hand ganz weit nach oben, doch der Griff war noch wenige Zentimeter von ihm entfernt.
Mürrisch lies er davon ab, klappte den Deckel wieder hoch, setzte sich auf die Brille und pinkelte frierend.
Sein linker Socken fühlte sich komisch an.
Er drehte den Fuß nach oben und sah, daß er von unten naß war. Er mußte irgendwo reingetreten sein.
Er riß etwas Klopapier ab und rieb damit auf der Wolle rum, als plötzlich ein eiskalter Wind mitten in sein Gesicht blies.
Vor Schreck schloß er die Augen und hörte einen engelsgleichen, schwebenden Gesang, der mit dem Wind zu ziehen schien.
Nach ein paar fürchterlichen Momenten lies beides, so plötzlich wie es gekommen war, wieder von ihm ab und was zurück blieb, war eine fast bedrückende Stille.
Bill öffnete vorsichtig die Augen und meinte sogleich noch einen seltsamen Nebel unter der Tür verschwinden zu sehen.
Weil er nicht wußte, was er jetzt tun sollte und weil er auch einfach Angst hatte, blieb er erst mal sitzen.
Er starrte gerade aus, klappte dann und wann seine Augen und war ansonsten vollkommen leer.
Aus seiner Starre erwachte er erst, als sein Bein, daß immer noch angewinkelt auf dem anderen lag, eingeschlafen war und sich wie die lebloses Extremität eines fremden Körpers anfühlte.
Bill sprang auf, drückte die Spülung und humpelte dann zur Badetür.
Bedrohlich dunkel war der Flur, doch noch bedrohlicher empfand er den gelben Lichtstreifen, den er am Ende des Ganges unter der Tür zum Kaminzimmer wahrnahm.
Bestimmt war er gar nicht aufgewacht. Sein schöner Geschenkeauspacktraum war eben in einen Albtraum gewechselt und wenn er sich jetzt einfach wieder hinlegte, würde er morgen aufwachen und wissen, daß er nur schlecht geträumt hatte und sie würden frühstücken, dann nach Hause fahren und abends würde er tatsächlich ganz tolle Geschenke bekommen.
Wenn das mal so einfach wäre.
Denn als er ins Schlafzimmer kam, registrierte er, daß weder Onno, Gregor, noch sein Cousin Edgar in ihren Betten lagen. Eigentlich war das ja logisch, denn schließlich war das Teil seines schrecklichen Albtraums, aber so konnte er sich nicht ins Bett legen. Denn bevor er einschlief, würde er es aushalten müssen, ganz allein in diesem Zimmer zu sein, Albtraum hin, Albtraum her.
Bill schlich sich zum Kaminzimmer und biß dabei die Zähne zusammen, denn langsam war sein Bein wieder erwacht und kribbelte nun, daß ihm jeder Schritt bis in die Haarsptzen drang.
Er stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte durch das Schlüsselloch.
Das war aber jetzt wirklich die absolute Höhe!
Da saßen doch tatsächlich Edgar, Gregor und Onno gemeinsam auf dem Ohrenbackensessel und beugten sich über den Tisch.
War das unerhört!
Die hatten sich doch tatsächlich zusammengeschworen um das Buch heute Nacht zu Ende zu lesen und hatten ihn einfach nicht mitgenommen. Es war aber auch immer das gleiche. Nur weil er der Kleinste war, durfte er niemals irgendwo mitmachen. Dabei war Edgar eigentlich kleiner als er, der hatte eben nur so eine komische Frisur, die ihn, wenn er neben ihm stand, um Haaresbreite größer scheinen lies. Außerdem trug er eine Brille und alle dachten, er wäre deshalb unheimlich schlau. Gregor war es bestimmt egal gewesen, der dachte immer nicht so daran mal andere zu fragen, ob sie mitmachen wollten, aber Edgar hatte das bestimmt extra gemacht.
Aber was Bill wirklich einen kleinen Stich ins Herz gab, war, daß Onno ihn nicht geweckt hatte.
Er wußte, daß dieser manchmal für ihn sorgte, indem er ihn beim Kartenspiel gewinnen lies, oder es so arrangierte, daß er beim Schlittenfahren vorne sitzen konnte.
Nicht, daß Onno dann irgendetwas gesagt hätte, eigentlich sagte er nie etwas, aber man verstand ihn immer auch ohne Worte. Auf seine ganz eigene Art schaffte Onno es irgendwie, daß eine Harmonie zwischen ihnen herrschte, so eine Art Gleichklang. Wenn Onno da war, war es, als würden sie einen Kanon singen. Jeder hatte zwar seine eigene Stimme, aber es klang auch gemeinsam gut.
Und nun hatte Onno doch tatsächlich diesen Vierklang gestört und ihn einfach im Bett gelassen.
Und er Dummkopf hatte auch noch Angst gehabt, weil sie nicht in ihren Betten gelegen hatten.
Er überlegte, ob er wieder in die Koje gehen und schmollen sollte, lies dann aber doch seine Neugier gewinnen und öffnete die Tür.
Das Buch im Buch im Buch im Buch
Später hätte man nicht mehr sagen können, wer anschließend mehr erschreckt und zusammengezuckt war. Ob nun Onno, Gregor und Edgar, denn selbst Onno war so konzentriert gewesen, daß er Bills Anwesenheit nicht gemerkt hatte, oder ob es Bill war, der aufgrund der Reaktion der Drei einen riesenhaften Schrecken bekam.
Tatsächlich setzte bei allen vieren das Herz einen Schlag aus und sie mußten erst mal alle kräftig durchatmen, bevor sie wieder etwas sagen konnten.
„Ach Bill, du bist's.“ sagte Edgar seltsam erleichtert.
„Bill, wie schön. Komm doch her.“ Gregor lächelte ihn erschöpft an und rutschte ein Stück zur Seite.
Bill überlegte, ob er nicht doch noch schlief. Er hätte jetzt jede Reaktion erwartet, daß sie genervt oder zerknirscht wären ihn zu sehen, aber sicherlich nicht erfreut.
Als er auf den Sessel kletterte, viel ihm auch auf, daß sie alle sehr blaß um die Nasenspitze waren.
Gregor tätschelte ihm den Kopf, atmete tief durch und legte ihm dann sogar seinen Arm um die Schulter.
Jetzt war sich Bill sicher, daß irgendetwas ganz, ganz faul war.
Weil er jetzt nicht mehr genau wußte, was er machen sollte, da es keinen Grund mehr gab einfach mumpfig herumzusitzen, grinste er Gregor kurz an und nahm sich dann einen Keks aus der Kristallschüssel. Dazu mußte er sich vorbeugen und sein Blick fiel dabei auf das rote Buch aus dem Susanna vorgelesen hatte. Es lag aufgeschlagen auf dem Tisch, aber irgendetwas stimmte nicht.
Es waren keine Buchstaben mehr da. Zwei weiße Seiten, ohne ein einziges geschriebenes Wort, blitzten ihn an. Seltsamerweise waren jedoch Seitenzahlen zu erkennen.
Bill streckte die Hand aus, um zurück zu blättern, als blitzschnell Edgars Hand dazwischen sauste und auf die Seite drückte, um ihn so am Blättern zu hindern.
„Ähm“, sagte Edgar und kratzte sich mit der freien Hand am Kopf, „laß noch mal kurz, Bill, wir müssen dir erst noch mal was sagen.“
Auch Gregor drehte sich zu ihm und Onno flog so, daß sein Gesicht in gleicher Höher mit dem seinen war.
Alle drei schauten sie ihn an und hatten dabei einen sehr, sehr ernsten Gesichtsausdruck und Bill dachte, daß sie eigentlich ziemlich ängstlich aussahen. Er erinnerte sich an die Geschichte mit der Magd und stellte fest, daß er langsam wirklich mal wissen wollte, was hier eigentlich los war.
„Also“, begann Gregor, „jetzt pass mal auf. Es ist nämlich so, daß wir was ganz, ganz seltsames entdeckt haben. Und zwar fing das eigentlich so an, daß Edgar vorhin aufgestanden ist, um das Buch weiter zu lesen.“
„Ja“, fuhr Edgar fort, „richtig. Aber weil das da irgendwie kein deutsch ist, ging das erst mal nicht. Ich hab dann immer weiter geblättert, bis Gregor dann dazu kam.“
„Genau. Ich hab nämlich durch Zufall die gleiche Idee gehabt, bin auch ins Kaminzimmer und hab Eddi da sitzen sehen. Wir haben dann zusammen weiter geblättert und als wir dachten, das können wir eh nicht lesen,...“
„wir haben uns dann nämlich auch gefragt, wie Susanna das eigentlich gemacht hat,...“ unterbracht ihn Edgar,
„...also,...“ fuhr Gregor fort, „da haben wir dann 'ne komische Entdeckung gemacht.“
„Aber hallo.“ pflichtete Edgar ihm bei.
„So, zeig's ihm mal.“ sagte Gregor und drehte sich zum Buch hin. Onno flog neben ihn, Edgar beugte sich vor und nahm alle Seiten, die auf dem linken Buchdeckel lagen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann lies er die Blätter, wie bei einem Daumenkino, durchrattern.
„Seite 87 war's.“ sagte er, stoppte, schlug besagte Seite auf und zeigte mit der gespreizten Hand auf eine Zeichnung.
Bill lehnte sich vor und betrachtete diese.
Das war unglaublich. Das musste irgendein Trick sein. Das war der absolute Oberhammer.
Er schaute unsicher von Edgar zu Gregor und von Gregor zu Onno, doch auch aus ihren Gesichtern sprach die gleiche Ungläubigkeit, die er fühlte.
Edgar zuckte die Schultern: „Wir wissen leider selber nicht, warum das so ist. Wir haben keine Ahnung.“
Bill beugte sich erneut vor. Was er sah war wirklich vollkommen unmöglich.
Auf Seite 87 befand sich eine Bleistiftzeichnung, die genau sechs Personen darstellte. Eine von ihnen stand in einem Türrahmen, die anderen fünf standen vor ihr und waren beladen mit allerhand Koffern, Rucksäcken, Tüten und einem Schlitten.
Es war eindeutig:
Die Person im Türrahmen war die durchsichtige Frau, die sie bei ihrer Ankunft in Empfang genommen hatte und die fünf Personen davor waren Susanna, Edgar, Gregor, Onno und er selbst.
„So,“ seufzte Edgar, „aber das ist ja erst der Anfang.“
„Eben,“ bestätigte ihn Gregor, „in dem Moment, als wir diese unglaubliche Entdeckung gemacht hatten, kam Onno rein, denn er hatte nämlich was gespürt. Wir haben ihm dann auch die Zeichnung gezeigt und er meinte dann, es wäre ihm schon früher klar gewesen, daß irgendetwas mit dem Buch nicht stimmte, es hätte so 'ne seltsame Aura oder so.“
„Außerdem,“ sagte Edgar gedehnt, streckte dabei seinen Zeigefinger in die Höhe und hob vielsagend die Augenbrauen, „hat er auch schon was bemerkt, als Susanna uns vorgelesen hat. Denn Onno hat herausbekommen, daß das hier in dem Buch nämlich altes deutsch ist, und wir es deshalb nicht lesen konnten. Naja und Onno kann das natürlich lesen und weil er ja hinter Susanna auf dem Sessel saß und mit ins Buch geschaut hat, hat er einfach immer schon ein bißchen weiter gelesen, als sie. So, und jetzt rate mal, was er da gelesen hat!“
Bill schob die Lippen nach vorne, überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern.
„Also, jetzt wird's ein bißchen kompliziert, aber das ist jetzt extrem wichtig. Der Sohn der Magd fand das rote Buch mit den goldenen Buchstaben und las darin, von der Geschichte einer Magd, die in einem Verlies vergessen wurde. Als ihre Herrschaften zurück kamen, fanden sie nur noch ihre Kleider vor. Von da an wurden sie ihres Lebens nicht mehr froh und starben alle alt und unglücklich. Dann kam ein junger Mann, der Sohn der Magd, fand ein rotes, in Leder eingebundenes Buch und las darin.“
Bienen schwirrten in Bills Kopf.
Was genau hatte denn jetzt der Sohn von der Magd damit zu tun, daß sich ein Bild von ihnen fünf in diesem komischen Buch befand.
„Verstehst du was das heißt? Der Sohn der Magd hat in diesem Buch seine eigene Geschichte gelesen. Er hat gelesen, wie er selbst zur Hütte kam und wie er das Buch fand und darin las. Das hat ihn so erschreckt, daß er weggelaufen ist.“
„So, und nun halt dich fest, Bill. Nicht daß das hier überhaupt schon das aller, aller, allergruseligste ist, was wir je erlebt haben, es kommt noch doller!“
Gregor streckte die Hand aus und blätterte weiter.
Kalte und heiße Schauer liefen abwechselnd über Bills Rücken, als er auf den folgenden Seiten, in schönen, akkuraten Zeichnungen, die einzelnen Stationen ihrer Ferien verewigt sah.
Man hätte meinen können, das Buch sei eine Art Fotoalbum, eben nur handgemalt, so wie es sie beim Essen, beim Schlittenfahren, bei der Schneeballschlacht, oder beim Lauschen der Geschichte zeigte.
Ein Seufzer und ein weiterer Schreck
„Also im Prinzip ist es doch so, daß in diesem Buch steht, was in dieser Hütte passiert. Und da wir nun in die Hütte gekommen sind, steht da eben, was wir erlebt haben.“
Edgar saß im Schneidersitz , hatte einen Keks in der linken Hand und hielt die rechte angewinkelt, als würde er ein imaginäres Tablett tragen.
„So gesehen schon,“ sagte Gregor und stützte seinen Kopf in beide Hände, „aber wieso sind wir gemalt und wer hat das überhaupt gemacht?“
Alle vier atmeten schwer durch und starrten verzweifelt auf die letzte Zeichnung, die sie alle fünf beim Mau Mau spielen zeigte.
Grund Gütiger, war das lange her. Es kam ihnen vor, als zeigte das Bild eine andere Welt, eine Welt, die noch nach ihren alten, vertrauten Regeln funktionierte und nicht so eine komische, in der sie sich selbst plötzlich in fremden Büchern wieder fanden.
Sie waren alles noch mal genauestens durchgegangen. Die Möglichkeit, die Bill in Erwägung gezogen hatte, daß sie eigentlich alle schliefen und nur durch Zufall den selben Traum träumten, schien ihnen noch die wahrscheinlichste.
In dem Buch, so viel war zumindest klar, war geschrieben, was in dieser Hütte passierte.
Aber wer schrieb dieses Buch? Vor allem wann hatte er heimlich diese Zeichnungen machen können? Und wieso zeichnete er jetzt und schrieb nicht mehr?
Ratlos kauerten die vier auf dem Sessel und ließen ihre Köpfe hängen. Es war aber auch zum Mäuse melken.
„Vielleicht sollten wir doch Susanna wecken?“ sagte Gregor, aber es klang so, als wüßte er selbst, daß das keine gute Idee war.
„Nee, die packt uns gleich alle ein und fährt sofort mit uns nach Hause, nachdem sie das Buch verbrannt hat.“
Ein klitzekleiner, erschreckter, heller Seufzer war zu vernehmen.
„Was?“ Edgar schaute zu Onno, der zu ihm zurück schaute, aber nur langsam seinen Kopf schüttelte.
„Wer war das?“Gregor blickte auch zu Onno und guckte ihn fragend an.
Der fing an sich langsam um sich selbst zu drehen, schien aber noch keine fremden Schwingungen wahrgenommen zu haben.
Bill kletterte hinter das große, blaue, samtene Kissen, das auf dem Sessel lag und ließ nur noch seine Nasenspitze herausgucken.
Edgar hob seine Hände, wie ein Pfarrer beim Segnen und ließ sie hoch und runter gleiten:
„Jetzt mal ganz locker bleiben. Haben wir das alle gehört?“
Er schaute in die Runde und jeder nickte.
„Nun gut, ich auch. Jetzt laßt uns mal ganz logisch denken, kommt Jungs. Was
kann das alles gewesen sein. Ich will Ideen hören.“
„Ähm,...“ Gregor schaute sich suchend um, „der Kamin?“
„Ja, super, es war Kamin, also keinen Grund zur Panik, draußen ist Winter, es ist windig, es war der Kamin.“
„Der Kamin.“
„Jaha, der Kamin.“
„Ach je.“
„So ein Kamin, jaja.“
Sie verstummten und schauten mit großen Augen in den Raum.
Da war abermals ein Seufzer zu hören, doch nach dem ersten Schrecken war klar, daß es sich diesmal wirklich um Onno handelte, denn er flog direkt über das Buch und wackelte aufgeregt hin und her.
„Onno, was soll das Jetzt?“ Gregor blickte ihn fast böse an.
„Ist jetzt keine Zeit für Scherze.“
„Gregor, Onno macht keine Scherze.“
„Stimmt. Mist.“
Edgar und Gregor blickten sich an, Bill sank noch ein bißchen tiefer und Onno umkreiste nun hektisch die rechte Seite, auf der die letzte Zeichnung war.
„Oh, oh,...“
Gregor beugte sich vor und mit zittriger Hand blätterte er die Seite um.
Wäre ihnen der Leibhaftige jetzt erschienen, sie alle hätten sich nicht mehr erschrecken können.
Entsetzte „Ah!“'s, Oh!“'s und „Oha!“'s flogen durch den Raum, Onno sauste nach oben und verschwand hinter dem Sessel, Bill stülpte nun das Kissen vollständig über sich und Gregor und Edgar versuchten sich mit drunter zu packen und kauerten schließlich als zittriger Knäuel gegen die Lehne gedrückt.
„Ha..ha.. ha..haben w..w..w..wwwwwwir aaaalllllle d..da...d..d..das g..g..ggleiche g..g..g..g..gggesehen?“ flüsterte Edgar stotternd.
„J..JJa! Uund s..ssag nicht, d..ddaß w..ww.wwir logisch d..ddenken s..ssollen, dd..ddas hat nämlich nix mehr m.mmit Logik z..zzu tun!“
„I..ii.iiich hab Schsch.sch..schisssssss“
„I...i..i...iiiiich a.a.aaauch!!“
So saßen sie eine Weile zusammengedrückt und zitterten wie Espenlaub und warteten, daß noch etwas schrecklicheres passieren würde.
Doch es geschah nichts.
Alles blieb ruhig, kein Seufzen, kein Windstoß, einfach gar nichts.
„Ich krieg kkkeine Luft mmehr.“
Gregor schob seinen Kopf hervor und atmete durch.
„Unnd? Ist da was?“ klang die gedämpfte Stimme Edgars durch das Kissen.
Gregor schaute sich um: „ich glaube nicht“, wisperte er vorsichtig.
Zwei Hände wurden von unten auf den Samt gelegt und drückten ihn langsam herunter, so daß zwei Augen zum Vorschein kamen: „sicher?“ Edgar blickte sich ungläubig um.
Gregor zuckte mit den Schultern: „keine Ahnung, ich weiß nur, daß ich eben nichts sehe, aber sicher bin ich mir jetzt in gar nichts mehr.“
Edgar krabbelte über das Kissen an die Sesselkante und schüttelte den Kopf: „heiliger, heiliger Bimbam.“
Auch Bill lugte jetzt wieder über dem Kissen hervor und schob sich dann, in dem er es weiter schützend vor sich hielt, hinter Edgar.
„Meine Güte“, sagte Gregor und schlug sich die Hand auf die Wange, „wenn das nicht mal der größte Weihnachtsbrüller aller Zeiten ist.“
Alle drei schauten sie auf das Buch trauten kaum ihren Augen.
Wo vor ein paar Minuten noch keine Zeichnung zu sehen war, blickten sie nun auf ein weiteres, bleistiftgraues Bild:
Es zeigte, wie auch viele andere, das Kaminzimmer, doch die diesmal dargestellte Situation war nur wenige Augenblicke alt:
Sie vier saßen alle auf dem Ohrenbackensessel und betrachteten die Zeichnungen in dem aufgeschlagenen Buch auf dem Tisch.
„Aber wie kann das denn möglich sein?“ flüsterte Gregor kaum hörbar.
„Ich weiß es nicht“, gab Edgar so leise zurück, daß man es kaum wahrnahm.
„Wir haben doch das Buch die ganze Zeit gesehen, Das kann doch gar niemand heimlich gemalt haben. Das hätten wir doch bemerkt.“ Gregor blickte verzweifelt zu Bill, der ihm einen entsprechenden Blick zuwarf und nervös an der gelben Kordel, die um das Kissen gebunden war, drehte.
Edgar blickte sich um, stutzte und legte dann langsam seine Arme auf die Schultern seiner beiden Freunde: „Gregor, Bill?“
„Was denn?“ antworteten beide zögerlich, denn der Klang in Edgars Stimme verhieß eindeutig nichts Gutes, doch ihr Bedarf an seltsamen Nachrichten war vorläufig eigentlich erst mal gedeckt.
„Ich will jetzt ja nicht noch mehr Panik verbreiten, oder so, aber wo ist eigentlich Onno?“
Was ist im Schrank?
„Jetzt laßt uns mal ganz logisch denken...“
„Wenn du noch einmal logisch sagst, dann folgt daraus, das ich dir eins auf die Mütze gebe!“
„Aber Onno hat doch bestimmt etwas gewittert!“
„Und wo soll er dann jetzt sein?“
„Na da, wo das herkommt, was er gewittert hat.“
„Mister Superschlau wieder. Und wo bitteschön soll das sein?“
„Wenn du mal logisch denken würdest, dann würden wir bestimmt drauf kommen.“
„Ich hab dich gewarnt!“
„Mach's doch, mach's doch.“
„Wenn du mir erklärst, was logisch daran ist, daß hier total viele Zeichnungen von uns im Buch sind, und daß so 'ne Zeichnung entsteht, während wir die ganze Zeit auf das Buch starren und niemanden sehen, dann verschone ich dich!“
Gregor und Edgar standen sich gerade kampflustig gegenüber, als plötzlich der kleine Bill aufstand und jedem von ihnen eine seiner Hände auf den Mund legte und sie dabei böse anfunkelte.
„hmmhnhbhmhnh?“
„Schschscht!“ machte Bill und zog die Augen auf.
Gregor und Edgar schauten den Kleinen irritiert an. So etwas hatte er wirklich noch nie getan.
Bill drückte fester auf die Münder und guckte noch mal ganz besonders streng.
Die beiden Jungs entspannten sich und ganz vorsichtig lies Bill von den Mündern ab, immer bereit noch mal zuzuhalten, falls sie doch wieder losstritten.
„Was'n mit dir?“ flüsterte Edgar.
Bill streckte erbost seinen Arm aus und zeigte mit der ganzen Hand nach oben. Sie folgten seinem Blick und sahen Onno, der genervt hin und her schaukelte, vor dem Wandschrank baumeln.
„Ach, upsi, hehe.“ Edgar kratzte sich verlegen am Kopf.
„Naja, um so besser, hihi. Dann mal los, gehen wir zu ihm“ Gregor rutschte vom Sessel herunter.
Bill schüttelte noch mal ärgerlich den Kopf und folgte dann Edgar, der schon auf dem Weg zum Schrank war.
Dieser war aus pechschwarzem Holz, riesengroß und strahlte eine bedrohliche Lebendigkeit aus.
„Meinst du da ist was drin?“ Gregor legte seinen Kopf in den Nacken und sah bis zur Decke hoch.
„Keine Ahnung. Onno meint das. Und Onno hat meistens recht. Leider.“
„So, was machen wir?“ Gregor stemmte seine Hände in die Hüfte und schaute seine Freunde auffordernd an: „Krisensitzung!“
Alle vier stellten sich in einen Kreis und steckten die Köpfe zusammen.
Wenig später war klar, daß etwas in diesem Schrank war, wobei Onno nicht genau sagen konnte was. Sie waren sich aber alle einig, daß sie das herausbekommen mußten, ansonsten würden sie dem Geheimnis nie auf die Spur kommen.
Der Schrank besaß nur eine einzige Tür und die hatte eine Klinke, die jedoch so verrostet war, daß Onno sie mit seinem Mund nicht herunterdrücken konnte.
Leider hing sie auch ca. doppelt so hoch wie herkömmliche Klinken, so daß keiner der restlichen dreien dran kam.
Das hieß also, daß sich einer von ihnen auf die Schultern eines anderen stellen mußte, um so die Tür zu öffnen.
Da alle weder das eine, noch das andere machen wollten, losten sie aus und schließlich mußte sich Bill auf Edgar stellen um die Tür zu öffnen.
Gregor machte eine Räuberleiter, Bill stieg auf Edgar und mit wackeligen Beinen und rot angelaufenem Gesicht schafften es beide sogar, sich mitsamt der Tür in den Schrankraum fallen zu lassen.
Rot, Grün und Lila
Bill saß auf dem Hosenboden, Edgar rappelte sich gerade auf und Gregor und Onno lugten hinter der Schrankwand hervor.
Die Tür war nach innen aufgesprungen, als Bill mit aller Kraft auf die Klinke gedrückt hatte.
Sie hätten nun erwartet einige Regale zu sehen, doch vor ihnen tat sich ein kleiner Raum auf. An der hinteren Wand schimmerte Licht, so als reflektierte sie das Licht einer Kerze.
„Oha, oha.“ Edgar steckte einen Finger in den Mund und biß darauf herum.
„Da ist wirklich jemand.“ Gregor quetschte sich neben Edgar, Bill drückte sich zwischen die beiden und Onno presste sich von oben auf die drei.
„Geh du doch mal vor und klär das eben.“
Alle vier wichen wie eine Person zurück, denn keiner von ihnen hatte den Satz eben gesprochen. Ein helles Stimmchen war eindeutig aus der hinteren Ecke gekommen, aber es war nichts zu sehen.
Auf einmal bildete sich dort ein riesenhafter Schatten, der sie alle um eine Kopflänge überragte. Er wurde immer größer und größer und die vier kugelten sich zusammen, schlugen die Hände vor die Augen und schrien: „huah!“ und „huee!“
Als der Schatten fast die ganze Wand einzunehmen schien, wanderte plötzlich ein kleines Männchen mit viel zu großem Mantel und einer roten Filzmütze um die Ecke.
Es blieb stehen, musterte die vier und wartete, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatten und sie es aus großen Augen anstarrten. Dann faltete es die Hände vor dem Bauch und setzte eine ganz freundliche, aber eher geschäftlich – distanzierte Miene auf.
„Hallo, schönen Abend,“ begann es mit seiner hellen Stimme, „nett, daß sie alle gleich hier her gekommen sind, wir hätten uns allerdings auch noch an sie gewandt. Ich will gleich zur Sache kommen, es geht um das Buch. Wir haben vorhin vernommen, daß die Möglichkeit bei ihnen besteht, es zu verbrennen und da würden wir uns doch gerne einklinken und sagen, daß es nämlich unser Buch ist und sie davon ablassen sollten. Wäre das ok?“
Er schaute auf vier entglittene Gesichtszüge, bekam jedoch keine Antwort. Das Männchen drehte sich nach hinten, in die Richtung aus der es gekommen war: „Die sagen nix.“
„Na gut, ich komme“, erklang ein zweites Stimmchen. Wieder wurde ein Schatten riesengroß, bevor ein etwas kleineres Männchen mit einer grünen Filzmütze und einem genau so großen Gewand den Raum betrat.
Es stellte sich neben das andere Männchen, lächelte freundlich und faltete dann ebenfalls die Hände vor dem Bauch.
„Hallo. Wir würden euch ja gerne reinbitten, aber da hinten wird's ein bißchen eng für euch, deshalb wäre es äußerst freundlich, wenn wir die Formalitäten hier besprechen könnten. Es macht euch doch nichts aus, oder?“
Die vier Freunde starrten weiterhin auf die Männchen, rührten sich aber nicht und sagten auch nichts.
Die beiden Männchen standen weiterhin mit freundlichen, aber mittlerweile etwas eingefrorenem Lächeln da und setzten einen erwartungsvollen Blick auf.
Die Gestalt mit der grünen Filzmütze wiegte sich kaum merklich zu der mit der roten Mütze und achtete beim sprechen darauf ihren Mund möglichst wenig zu bewegen:
„Die sagen ja wirklich nichts.“
„Die sagen ja wirklich nichts.“
„Na, eben.“
„Mal sehen, vielleicht kann man noch was machen.“
Es drehte sich um und verschwand wieder hinter der Ecke.
„Du, komm doch auch noch mal. Es stellt sich gerade als ein bißchen kompliziert dar.“ erklang seine Stimme.
Darauf folgte eine zweite, noch hellere, aber etwas genervte Stimme:
„Ne, wirklich nicht. Weißt du was hier los ist? Die pennen die ganze Nacht schon nicht. Ich hab keine Ahnung, wie ich das schaffen soll. Das müßt ihr jetzt auch mal alleine klären. Und sag ihnen dann, daß sie mal ins Bett gehen sollen, ich werd noch wahnsinnig.“
„Bitte, es betrifft ja auch dich. Ich weiß, daß du viel zu tun hast, aber zwei Minuten wirst du doch entbehren können. Bitte.“
Ein Seufzer erklang, dann wurde irgendetwas hingeknallt, „also gut, aber nach zwei Minuten bin ich wieder weg.“
„Danke dir.“
Wieder kamen Schatten auf die Wand zu, als darauf das grüne Männchen mit einem weiteren Männchen, daß eine lila Mütze trug, im Schlepptau hervor trat.
Alle drei stellten sie sich in eine Reihe, falteten die Hände und setzten eine ernste Miene auf.
Dann sprach das grüne Männchen wieder: „so, wir wären nun vollzählig und würden euch nun noch mal im Namen aller bitten, unser Buch zu verschonen!“
Mittlerweile hatten sich die Jungs etwas entspannt und Gregor traute sich als erster etwas zu sagen: „die tun uns nix, oder?“ flüsterte er zu den anderen.
Edgar schüttelte den Kopf; „ich glaub nicht.“
„Ok, dann frag sie doch mal wer sie sind.“
„Iiiiiich“
„Ja, los.“
„Ich mach das nicht. Mach du doch.“
Gregor schnaubte durch und drehte sich um.
„Ähm, wer seid ihr denn?“
Das grüne Männchen lächelte.
„Hach, ihr habt recht, wie unhöflich von uns. Aber ihr müßt verstehen, wir waren etwas verunsichert. Also, ich bin Harni, daß hier ist Jerns, „ es zeigte auf das Männchen mit der roten Mütze, „und das hier ist unsere Arn,“ wobei es auf den lila Mützenträger deutete.
Dann ging sie nach vorne und schüttelte Gregor die Hand, der die Geistesanwesenheit hatte, sich auch vorzustellen: „hallo, ich bin Gregor.“
Danach kam Edgar dran, der sich ebenfalls vorstellte und so ging sie die Reihe durch und es gab ein großes Hallo, als auch die beiden anderen vortraten und sich höflich bei allen vorstellten, die sich wiederum zurück vorstellten.
Und selig schlafen sie
Die drei Männchen saßen entspannt auf dem Buch und teilten sich einen Keks.
Onno, Bill, Edgar und Gregor hatten es sich wieder auf dem Ohrenbackensessel gemütlich gemacht und lachten herzhaft.
„Nee, nee, den Blick von dem Alten hättet ihr mal sehen soll, als der nur noch ihre Klamotten sah. Brüller sag ich euch.“ Harni hielt sich den Bauch.
„Und wie genau habt ihr das jetzt gemacht?“ fragte Edgar und nahm sich einen Schluck aus seiner Kakaotasse.
„Na, daß war erst mal schon ein bißchen kompliziert,“ fing Jerns an, „aber wir dachten, jetzt oder nie, Risiko gibt's immer.“
„Genau,“ setzte Arn fort. „Wir hatten also Maggie, also eigentlich Magdalena, also so hieß die Magd, schon ne Weile beobachtet und dachten, Leute, die kommt da echt nicht mehr raus. So, und da wir ihr ja helfen konnten hätten wir uns ja mitschuldig gemacht, wenn sie gestorben wäre.“
Harni schüttelte den Kopf: „außerdem waren die Strohmeiers, also die Herrschaften, wirklich unmöglich, Arn hat da beim aufschreiben nicht übertrieben!“
„Ne, echt nicht, ich mußte mich eher noch zusammenreißen, daß ich keine derben Worte benutze, um sie zu beschreiben.“
„Na, ihr wolltet doch wissen, wie wir das gemacht haben.“ Jerns blickte freundlich in die Runde und biß von dem Plätzchen ab, daß die gleiche Größe hatte, wie er.
„Also, wir haben uns Maggie vorgestellt, die hat sich auch erst etwas erschreckt und dachte schon sie sei aus Hunger im Delirium, aber sie hat sich dann beruhigt und war schließlich richtig froh, weil sie ja nun frei war.
Aber wir dachten, Strafe muß sein. So eine Tat, die niemals geahndet werden würde, kann man eigentlich nicht so stehen lassen. Maggie hat dann für uns alle richtig gut gekocht und wir haben uns beratschlagt. Nach zwei Abendessen stand unser Plan fest. Wir haben lauter Essensreste vom Müll in die Küche gepackt, damit alles so richtig schön stank, haben Maggie neue Kleider gekauft und ihre alten ins Verlies getan.
Dann haben wir uns vom Metzger etwas Schweineblut geholt, die Glaslampe zerbrochen und die Buchstaben an die Wand gekritzelt.“
Arn nickte, „dann mußten wir nur noch warten und der Rest ging von selbst.“
Alle drei lachten wieder und schüttelten die Köpfe, wie alte Schulkameraden, wenn sie an ihre Lehrerstreiche denken.
„Aber was hat es mit dem Buch auf sich?“ wollte Gregor wissen.
„Ach ja das Buch.“ Harni nahm ihre grüne Mütze ab, kratzte sich darunter und setzte sie wieder auf.
„Es ist ja so, als diese Hütte 1885 gebaut wurde, wurden wir drei quasi miteingebaut, als Chronisten und Wächter. Wie ihr euch schon denken könnt, sind Jerns und ich Wächter und die Arn schreibt. Na, wir bewachen natürlich nicht die ganze Bude, sondern nur über das Buch, daß es, wie wir ja heute fälschlicherweise dachten, verbrannt wird, oder so.
Naja und damit unser kleiner Streich eben nicht auffliegt, mußten wir natürlich gewissen Details auslassen, aber es war auch herrlich eine so gruselige Geschichte zu schreiben, nicht wahr Arn?“
„Das war wirklich die beste Zeit.“
Wieder lachten die drei und schüttelten ihre Köpfe.
„Aber eins versteh ich nicht. Wieso ist unsere Geschichte gemalt?“
Arn verschränkte ihre Arme und hab das Köpfchen. Jerns und Harni schauten sich zerknirscht an.
„Arn,“ Harni blickte zu ihr, „das erklärst du ihnen bitte, ich sag dazu nichts mehr. Ich hab meine Meinung gesagt, du bist die Schreiberin, es ist diene Entscheidung,
ich respektiere sie auch, aber du weißt, was wir davon halten.“
Arn würdigte sie keines Blickes.
„Jetzt mal im ernst Jungs. Könnt ihr euch vorstellen 120 Jahre lang nur zu schreiben? Ich muß mich auch mal weiterentwickeln. Man wird doch wohl auch noch mal was neues ausprobieren können. Ich zeichne privat eben sehr gerne und wollte davon auch mal was in die Chronik einfließen lassen.“
„Immerhin hätten wir es sonst nicht lesen können“ gab Edgar zu bedenken.
„Siehste.“ Arn schaute vorwurfsvoll zu Harni. „Außerdem hab ich schon lange gesagt, daß wir mal die Altdeutsche Schrift hinter uns lassen können und mal die modernen Buchstaben benutzen.“
„Arn, auch das haben wir schon hundert mal diskutiert, wir sind ein traditionelles Unternehmen, wir müssen keinen Trend mitmachen. Das haben wir nicht nötig.“
„Harni, die Leute da draußen schrieben seid fünfzig Jahren oder so mit der modernen Schrift, das ist kein Trend mein Schatz.“
„Arn, ich bitte dich, ich möchte nicht, daß es wieder in diese Diskussion ausartet, wir hatten uns geeinigt.“
„Harni,...“
„Ähm, Mädels.“ Jerns unterbrach sie.
„Was denn?“ keiften beide zurück.
„Ich glaub die Jungs hier müssen mal in die Heia.“
Arn und Harni blickten sich um, und sahen auf einen seligen Knäuel, der entspannt im Gleichklang auf dem Sessel schnarchte.
Ende
„Arn, das ist doch jetzt nicht so wichtig, laß sie doch schlafen.“ Jerns zuppelte an ihrem Mantel.
„Ja, mach ich ja, aber erst gleich.“
Jerns seufzte.
Arn stand auf Edgars Nase und klopfte an sein Augenlid.
„Hmmbbnbmwas?“
Edgar öffnete die Augen und rappelte sich hoch. Dadurch wurden auch alle anderen wach.
„Was ist denn?“ fragte Gregor.
Bill rieb sich die Augen und Onno plumpste ungemütlich aus seiner Badewanne.
Arn hatte sich mittlerweile auf Edgars Knie gestellt und stemmte die Arme in die Hüfte.
„So Jungs, so leicht kommt ihr mir auch nicht davon. Wer hat eigentlich den Marmeladenkleks in meine Buch gemacht?“
Vier Hände schossen vor vier Münder und acht Augenpaare blickten sich ertappt an.
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