Sie klemmte.
In brenzligen Situationen, wenn man es mal überhaupt gar nicht gebrauchen konnte, dann klemmte sie immer.
Sinus Snel saß in seinem, mit hyperhybrid Motor angetriebenem Raumschiff und raste mit maximaler Geschwindigkeit auf Plasmujin zu.
Und seine Bremse klemmte.
Binnen 24 Trillionen Nanosekunden würde er auf die zwar relativ dünne, in seiner Situation dennoch sehr gefährliche Atmosphäre treffen und in ihr samt seinem Raumschiff und seiner defekten Bremse verglühen.
Falls nicht komplett, dann würden die reste der Kapsel nur leicht abgebremst weitersausen, irgendwo aufdonnern und dann einen kleinen Krater hinterlassen. Auch eine nette und äußerst effektive Art sein eigenes Grab zu schaufeln.
Sinus tippte wie ein Wahnsinniger auf seine Tastatur ein und trat zum x- ten Mal gegen die Bremse, doch die bewegte sich um keinen Deut.
Schneller als ihm lieb war sauste der Mond auf sein Frontfenster zu und schien ihn förmlich in Empfang nehmen zu wollen.
„Vergiß es“, schrie er lauthals, löste hektisch seinen Sicherheitsgurt, stieß sich mit den Beinen an der Konsole ab und schwebte in den hinteren Teil seines Schiffs. Er setzte sich auf einen kleinen Hocker, legte einen Koffergurt um seinen Schoß und befestigte ihn an zwei Haken, die aus dem Stühlchen ragten.
Sein linker Zeigefinger legte sich auf einen signalroten Knopf, doch bevor er ihn drückte lugte er noch ein letztes Mal durch sein Schiff hindurch und sah den nun mitlerweile erschreckend groß aussehenden Mond gefährlich nah auf sich zurasen. Er meinte schon das Gebäude des Weltraumbahnhofes erahnen zu können.
„Dann los!“
Sinus zog seinen Kopf ein und drückte den signalroten Knopf. Im nächsten Augenblick schloß sich eine runde Tür, die die kleine Kabine vom Rest des Raumschiffes trennte.
An ihrer Außenseite lösten sich schlagartig vier Metallplättchen, eine kleine Zündung ging los und lies die Kapsel samt Sinus und einem kleinen Koffer vom Raumschiff wegschnellen.
Leider brachen aufgrund der Beschleunigung, die Sinus auf einmal 176 Kilo wiegen lies, die Haken aus dem Stühlchen und er wurde mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert, blieb dort einige Augenblicke hängen, löste sich langsam, als die Beschleunigung nachließ und schwebte schlußendlich deutlich benommen in seiner Kapsel.
So verpasste er die letzten Sekunden seines ehemaligen Raumschiffes, welches immer noch ungebremst auf die Oberfläche des Plasmujin zuraste.
Als es mit seiner Atmosphäre in Berührung kam, verwandelte es sich in einen weiß – gelben Feuerball und binnen 3,78 Sekunden war es für immer verschwunden.
Lustiger Weise fand gerade auf dem Luho, dem höchsten Berg des Plasmujin, ein Volksfest statt. Angeheiterte Plasmujinbewohner und deren Gäste tanzen und sagen was das Zeug und gerade als die Feier ihren Höhepunkt erreichte erglühte am Himmel eine riesige und mächtige Sternschnuppe.
Sinus schwebte völligst erledigt in seiner kleinen Raumkapsel und dotzte ab und zu an die eine oder andere Wand, blieb aber davon total ungerührt. Kleine, rote und durchsichtige Kügelchen schwebten mit ihm durch den Raum und schienen sich auf wundersame Weise zu vermehren, beim genaueren Hingucken war jedoch zu erkennen, daß die roten Kügelchen ihren Ursprung an Sinus Hinterkopf hatten und nach und nach dort herausperlten, die durchsichtigen kamen aus seinem Mundwinkel.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin, schossen gleichzeitig aus drei runden Öffnungen im Boden rote Lichtstrahlen hervor und begannen systematisch die Kapsel abzusuchen.
Es muß wohl ein intergalaktischer Superzufall gewesen sein, der unseren Raumpiloten hier rettete.
Sinuss schlaffer Körper schaffte es tatsächlich zwischen den Lichtstrahlen hindurch zu schweben, ohne diese auch nur zu streifen.
Die kleinen organischen Kügelchen wurden zwar von den Lasern gescannt, die Oberflächenanalyse ergab jedoch, daß es sich nicht um gesuchtes Objekt handeln konnte und wurden somit in Ruhe gelassen.
Nachdem jeder Strahl genau 1/3 des Raumes abgesucht hatte, zogen sie sich wieder absolut gleichzeitig zurück und eine Antenne, die an einen winzigen Rechner angeschlossen war, sendete Daten quer durch den Galaktischen Raum zu einem ihm vorbestimmten Ziel.
Fünf Minuten später wachte Sinus auf.
Er öffnete die Augen.
Er sah nichts.
OK Verletzungen am Auge oder am Gehirn. Weitere physiologische Daten überprüfen. Finger?
Sinus bewegte seine Finger. OK. Füße?
Sinus bewegte seine Füße. In Ordnung. Kopf???
Sinus bewegte seinen Kopf und etwas rutschte von diesem Weg. Erschrocken drehte er sich drei mal um sich selbst und entdeckte dann, was ihm auf den Augen gelegen hatte: Das Kofferband, an dessen Enden sich die herausgebrochenen Haken befanden.
Er sah sie sich genauer an. Dann bewegte er sich zum Hocker und besah sich das gesplitterte Holz.
Dilettanten.
Eine kleine, rote Blutkugel verirrte sich vor Sinuss Gesicht.
Sie schwebte an ihm vorbei und gesellte sich zu einer weiteren, mit der sie sich geräuschlos vereinigte.
Sinus schaute an seinem Körper herunter, tastete sich ab, bis er im hinteren Bereich seines Kopfes eine warme, weiche Stelle auf einer deutlichen Erhebung vorfand.
Na herzlichen Glückwunsch.
Übelkeit stieg in ihm auf.
Sinus stieß sich in Richtung eines Regals und schnallte dort einen silbergrauen Metallkoffer ab.
Dann stieß er sich mit ihm von der einen Wand ab und dotzte gegen die gegenüberliegende. Den Koffer in der rechten, steckte er seinen linken Arm durch einen Griff und zwar so weit, daß dieser fast bis zur Schulter drin steckte. Dann öffnete er den Koffer. Drinnen lag ein weiteres Band, daß er sich um die Hüfte schlang und rechts und links an zwei Ösen befestigte.
Die Kapsel begann vor seinen Augen zu flimmern.
Verdammt. Beeil dich.
Er zog eine Antenne aus und drückte das „ON“ Zeichen auf einer kleinen Tastatur. Darauf hin begann es zu fiepen und zu blinken, bis der Minicomputer hochgefahren war.
So du Wunderwerk der modernen Universalraumtechnik. Nun zeig mal was du kannst.
Er zog aus dem Deckel eine Broschüre, auf der „Gebrauchsanweisung“ zu lesen war.
Er schlug das Inhaltsverzeichnis auf.
N. Network, Nimbus, Nitropenta, Nodalität, da: Notruf. Sehr gut. Seite 78.
Er blätterte die Seite auf.
Ihm wurde schlecht.
Bitte nicht.
Notruf empfangen:
Nein!
Er blätterte eine Seite weiter.
Notruf senden:
Danke!
Fahren sie den Computer hoch, indem sie auf „AN“ drücken.
Sein Magen rumorte.
Öffnen sie das Programm „hilfe hochfahren“ indem sie klar und deutlich „hilfe hochfahren“ sagen.
„Hilfe hochfahren.“ hauchte Sinus.
Eine metallische Frauenstimme tönte aus dem seitlichen Lautsprecher des Computers.
„Die automatische Spracherkennung hat sie leider nicht verstanden. Bitte wiederholen sie ihr Anliegen.“
„Hile ho...“
„Die automatische Spracherkennung hat sie leider nicht verstanden. Bitte wiederholen sie ihr Anliegen.“
Sinuss Magen drehte sich zweimal um sich selbst, während er panikartig versuchte seinen Arm aus dem Griff zu ziehen. Nachdem er ihn fast ausgekugelt hatte, gelang es ihm, er drehte sich vom Koffer weg und fand sich ein paar Minuten später Angesicht zu Angesicht mit seiner letzten Mahlzeit.
Sinus atmete hörbar ein und aus.
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