Um die Tragweite dieser Geschichte verstehen zu können, muss ich als erstes erwähnen, daß ich damals beschloss Schriftsteller zu werden.
Genauer gesagt: Ich hatte vor, ein noch nie dagewesenes Meisterwerk auf Papier zu bannen, die Menschheit damit zu konfrontieren und mich danach in meinem Erfolg zu baden.
Hochmotiviert hatte ich mir folgende Utensilien zugelegt:
Einen ein Meter hohen Stapel Papier, einen extrem teuren und gleichermaßen hochwertigen Füllfederhalter und zwei Liter schwarze Tinte.
Von nun an durchflossen täglich Ströme von italienischem Kaffee meine Adern und Stürme von American Spirit durchzogen meine Lungenflügel.
Versunken in die Tragik des Lebens, verbrachte ich Stunden an meinem am Fenster platzierten Schreibtisch, hoffend das Licht der Sonne erhelle meinen trüben Geist und entflamme das Feuer der Erleuchtung und Inspiration.
Es zogen ein paar Tage ins Land, die ich sinnierend und hochkonzentriert in mich gekehrt verbracht hatte, als mein Blick das erste Mal, seid Beginn meiner Schaffensphase wieder auf den Papierturm und die 40 Tintenglässschen fiel.
Ich runzelte die Stirn, schaute mich danach suchend auf meinem Mahagoni Schreibtisch um, fand nichts und zählte danach sicherheitshalber die Glässschen noch mal nach.
40.
Doch als Profi wollte ich mich von solchen Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wusste ich doch, dass sich von so einem Tiefschlag nur einen Amateur aus der Ruhe bringen lassen würde.
Um mir etwas Ablenkung und Zerstreuung zu gönnen, schnappte ich mir meinen Trenchcoat und meinen teuer erstandenen Hut, den ich Stunden bearbeitet hatte, damit er endlich „used“ aussah.
Die Herbststürme draussen unterstrichen meine Melancholie und würden mir auf dem Weg zur Inspiration eine willkommene Muse sein.
Als ich eine Stunde später aus dem Fachgeschäft trat, war ich zufrieden. Die Visitenkarten sahen edel, aber nicht zu aufdringlich aus, klar und prägnant und jeder konnte gleich erkennen, mit wem er es hier zu tun hatte.
Wirklich jeder, auch ich.
Oben links, aber nicht ganz weit oben stand mein Name, unten rechts meine Adresse mit Telefonnummer und in der Mitte der kleinen hellbraunen Büttenpapierkarte stand das Wort Schriftsteller.
Doch als ich mein Heim abermals betrat, stellte ich fest, daß nichts, aber auch gar nichts darauf hin deutete, dass in den letzten Wochen hier auch nur eine Sekunde gearbeitet worden war.
Schmerzlich war diese Tatsache deshalb, weil sie einen Schock in mir auslöste, welcher jeden anderen Nicht – Schreiber sofort zum Aufgeben gebracht hätte.
So jedoch nicht mich.
Bei mir versetzte er mein Unterbewusstsein in Alarmbereitschaft, mit dem Ziel, das, was in diesem Raum die letzten Wochen eben nicht passiert war, nicht mit meiner Unfähigkeit zu begründen, sondern mit unverschuldeter Fremdeinwirkung. Und deshalb suchte sich dieses Unterbewusste einen Grund, sich selbst, also mich, zu entschuldigen und ich ahnte nicht im Entferntesten, welche Blüten mein innerstes Selbst auszutreiben in der Lage war.
Ein paar Tage später schien es etwas passendes gefunden zu haben.
Rückblickend kann ich sagen, dass mich das Gekreische natürlich schon wesentlich länger nervte, war es mir lediglich durch meine hochkonzentrierte Arbeit nicht bewusst geworden.
Während der Wintermonate, in denen Fenster die meiste Zeit geschlossen sind, musste gegenüber ein neuer Mitbewohner eingezogen sein. Ein mit durchdringend lautem Geschrei auf sich aufmerksam machender, exotischer Vogel, dessen Käfig direkt am Fenster stand.
Sein Schrei begann mit einem äußerst kehligen „Pi“, welches sich in einem Salto mortale zu einem „jjjjjjj“ überschlug, um schlussendlich in einem schmetternden, mit ausgebreiteten Armen, die ganze Welt umfassenden „aah“ zu enden.
„Pijah“
Sobald dieser Laut einmal in mein Bewusstsein drang, war ich gerettet, denn ich hatte die perfekte Entschuldigung nicht zu schreiben. Das es auch gar nicht möglich gewesen wäre, ist nebensächlich. Sobald ich den Vogel hörte, konnte ich, bis ins Mark genervt, meine Feder auf den Tisch knallen, laut meinen Atem ausstoßen und meinen Kopf theatralisch in die Hände werfen.
Doch in dem Moment, als ich das gefiederte Ungetüm als Behinderung meiner Arbeit entdeckte, war ich verloren.
Denn um vor mir selbst als ernstzunehmender Schriftsteller, der kurz davor steht sein erstes Meisterwerk niederzuschreiben, zu bestehen, war ich gezwungen alles zu unternehmen, um das Gekreische zu unterbinden.
Gleichermaßen ahnte ich, dass dieses neugewonnene Gefühl, mich selbst überzeugt zu haben, dass ich ein echter Schreiber bin, mit dem Scheiden des Vogels ebenso verfliegen würde.
Denn dieses unbeschriebene Blatt Papier war nunmehr nicht länger mein Antagonist, sondern die mit leidenschaftlicher Inbrunst geliebte Maid, deren Zugang mir durch den bösen, lauten Feind verwehrt blieb. Da ich sie nicht erreichen konnte, war es mir erlaubt um sie zu werben, zu buhlen, mich nach ihr zu verzehren, um sie zu weinen. Als hätte ein Drache sie gefangen, sobald ich ihn jedoch tötete, wäre ich wieder gewahr, dass ich ihr nicht gewachsen bin.
Ich musste mir also einen doppelten Plan ausdenken:
Einmal den offiziellen:
Das Gekreische muss sofort aufhören!
Und dann den zweiten, inoffiziellen, von dem nicht mal ich selbst wissen durfte:
Es darf nicht klappen!
Für alle, die nun berechtigterweise einwerfen, dass ich so oder so nie mehr zum Schreiben kommen würde, muss ich sagen: darum ging es mir nicht.
Es ging um den Grund. Es ging um Können und nicht Können. Um eigenes Versagen oder durch höhere Gewalt außer Kraft gesetzt.
Es ging um die letzte Würde vor mir selbst!
Da ich nun in der misslichen Lage war, meine eigenen Sabotageakte vor mir selbst geheim zu halten, musste ich so raffiniert und subtil vorgehen und mir dermaßen ausgeklügelte Fallen stellen, dass ich später immer guten Gewissens behaupten konnte, die Welt habe sich auf unheimliche Weise gegen mich und meine Schreiberei verschworen.
Bevor ich also meinen ersten Schritt wagen konnte, hatte ich einiges an Vorbereitungen zu treffen, so dass meinem gewinnenden Scheitern nichts mehr im Wege stehen würde.
Ich duschte mich drei Tage nicht. Über meine Verzweiflung hinaus raufte ich mir die Haare, die mir nach und nach durch das Fett zu Berge standen. Um meiner Nervosität Herr zu werden, rauchte ich Kette und schloss das Fenster die ganze Zeit (natürlich nur um den Vogel nicht so laut zu hören), selbst dem Drang mir die Zähne zu putzen widerstand ich eisern. Ich gebe zu, dass ich die drei Tage auch nichts hätte essen sollen, es hätte meinem Gefühl nach auch besser in das Bild gepasst, aus taktischen Gründen, und da wird mir jeder Recht geben, zog ich den Verzweiflungsesser vor, der sämtliche Teigwaren mit Knoblauch, Curry, Peperoni und weiteren orientalischen Gewürzen zu veredeln weiß.
Das Resultat war beeindrucken. Alle fünf Sinne wurden gleichermaßen berauscht. Ich betrachtete mich in meinem Ganzkörperspiegel und lobte mich insgeheim für den Schlafentzug, nie hatte ich bessere Augenringe besessen. Dann trank ich noch zwei Dosen Bier, aalte mich einen Moment lang in meiner Verzweiflung, sagte mir, dass ich nun handeln müsse, sonst ginge nicht nur mein Genie, sondern am Ende auch ich selbst verloren und machte mich auf den Weg.
Zum ersten Mal sah ich das sandsteinfarbene Mietshaus nun aus der Nähe. Fünf Stockwerke ragten über mir empor und eine unheimliche Stille empfing mich, die mich für kurze Zeit tatsächlich aus der Bahn zu werfen drohte, glaubte ich sogleich, ich sei verrückt geworden.
Höchstwahrscheinlich hatte jedoch der Alkohol dafür gesorgt, dass ich kurz meine Orientierung verloren und somit vergessen hatte, dass das Vogelzimmer ja zum Hinterhof hinaus ging. Ich konnte das Schreien hier also gar nicht hören.
Die wenig einladende, weil der Witterung nicht mehr stand haltende Eingangstür machte mir plötzlich bewusst, dass ich mir bisher keinerlei Gedanken gemacht hatte, wer der Besitzer des Tieres sein könnte. Vierter Stock Mitte, war alles was ich wusste.
Wenn nun ein Mann, wie ein Schrank das Tierchen sein Eigen nannte?
Meine Hoffnung stieg.
Die Klingelschilder verrieten mir, dass es drei Wohnungen pro Stockwerk gab. Im vierten nannten sich die Bewohner ‚Schultheiss’, ‚Möller’ und ‚Kluge’.
Kein Name verriet etwas, jeder kam in Frage. Ich musste es also einfach auf gut Glück versuchen.
So wählte ich ‚Möller’.
Zugleich meldete sich eine Frauenstimme mit einem „ja“ und auf meine Frage, ob sie einen Vogel besäße, antwortete sie überraschenderweise mit „ja“. Es stellte sich jedoch heraus, dass es sich um einen kleinen Wellensittich handelte, der zwar auch nerven konnte, aber nicht über eine große Entfernung hinaus.
Herr Schultheiss hatte nur einen Terrier, der sich im Hintergrund lautstark bemerkbar machte, öffnete mir aber freundlicherweise die Tür, weil ich angab Prospekte im Kampf gegen das unmenschliche Vogelabschlachten bei der Gewinnung von Tropenholz zu verteilen und er meinte ich solle es doch mal bei seinen Nachbarinnen versuchen, die besäßen beide solch gefiederte Kerlchen.
Frau Kluge war also die Herrin des Monsters.
Ich hastete in den vierten Stock, klingelte und Frau Kluge öffnete.
Nachdem sie kurz zusammengezuckt war, schlug mir die alte Dame ihre Haustür fast vor der Nase zu, (ideal – dennoch, so schnell durfte ich mich nicht geschlagen geben) doch ich steckte meinen Fuß zwischen Tür und Rahmen und quetschte meinen Kopf durch den kleinen Spalt: „Besitzen sie einen Vogel!?!“
Mit aller Kraft gegen den Eindringling drückend, brachte sie ein entrüstetes „ja, was ist denn damit?“ heraus.
„Das ist vollkommen unmoralisch“, schrie ich sie an und daß früher so etwas nicht möglich gewesen wäre, außerdem unterstellte ich ihr einen persönlichen Angriff gegen meine Person.
Sie kenne mich doch gar nicht, das sei schlichtweg gelogen, erwiderte ich. Was sie sich in ihrem Alter denn dabei denke, da könne ja jeder kommen. Unverschämt sei das, ich hätte das in meinem ganzen Leben noch nicht ansatzweise so erlebt.
Sie auch nicht.
Die Zerstörung meiner Existenz stände mir bevor, wenn das so weiter ginge.
Das sei ihr vollkommen egal, ich solle verschwinden.
„Ich lasse mich nicht vertreiben“, brüllte ich zurück, jeder habe das Recht auf persönliche Freiheit, niemand könne mir vorschreiben, was ich tun soll oder nicht.
Wenn ich nicht gleich ginge rufe sie die Polizei, ich sei asozial, wie ich überhaupt stinken würde, ich sei wohl unter Drogen, so was gehöre eingesperrt.
Das sei wieder typisch, stieß ich aus tiefster Kehle hervor, diese Verpauschalisierung, kaum drängt man euch in eine Ecke, kommt's dann raus, nein, mit so etwas gäbe ich mich tatsächlich nicht ab, ich verschwände jetzt von selbst.
Herr Schultheiss trat aus seiner Wohnung und hinter ihm hopste der kläffende Terrier auf und ab und sabberte den bereits fleckigen Flurteppich ein.
Er fragte, was los sei und bevor Oma Kluge antworten konnte, trat ich einen Schritt auf ihn zu und befahl ihm die Fresse zu halten, mir sei jetzt alles klar, das wäre ja noch schlimmer, als ich es erwartet hatte und verlies völlig außer mir das Haus.
Doch nicht nur mein erhitztes Gemüt lies mich schnellen Schrittes in meine Wohnung zurückkehren.
Ich stürzte zum Fenster und riss es auf:
„Pija!“
Völlig erledigt lies ich mich auf meinen Stuhl fallen.
Aber ich fühlte mich leer. Der Vogel piepste noch an altbewährter Stelle, ich war also entschuldigt, doch was würde nun kommen?
Sollte ich mich schon dem Schicksal beugen?
Ich roch wieder nach mir selbst. Der Spiegel über dem Waschbecken zeigte mich immer noch ein wenig abgeschlafft, doch das kam mir gerade recht.
Ich zog das kurzärmelige, beige-braun karierte Hemd an, dazu meine dunkelbraune Stoffhose und entschied mich nach einigem Hin und Her für die gelb-braunen Turnschuhe.
Dann legte ich mir meine schwarzen Locken zurecht, natürlich so, dass sie aussahen, als hätte ich sie gar nicht angefasst und zog meine schwarzumrandete, in rechteckiger Form gehaltene Brille auf, legte zehn Zigaretten in mein Silberetui und wählte das Zippo – Feuerzeug.
Schlussendlich kam noch ein Notizheft und ein ausgesuchter Gelminen-Stift in meine Hosentasche (die am Hintern versteht sich).
Kurze Zeit später saß ich etwas abseits von den restlichen Gästen der Vernissage, Schulter an Schulter mit meinem guten Freund Raoul auf einem rosa Plüschsofa, bot ihm gerade eine ‚American Spirit’ an und wie das unter Schriftstellerkollegen so ist, konnte er mein Leid voll und ganz verstehen.
Was ich zu tun gedenke, wollte er wissen, ich habe wirklich keine Ahnung gab ich zurück, wenn die Alte ihr Mistvieh nicht wegstellen wolle, ich könne schließlich nicht mit Ohropax in den Ohren schreiben.
„Und wenn du das Fenster schließt?“
War er irre? Wie kam er denn auf diese abstruse Idee?
„Bist du wahnsinnig? Raoul, ich brauche Sauerstoff, um zu denken. Fenster schließen - ich bitte dich! Um meinen Geist zu inspirieren, benötige ich meine ganz eigene Atmosphäre. Erst einmal die Einsamkeit, ich kann niemanden um mich herum haben. Dann brauche ich Luft – immer genug Luft – und zuguterletzt Ruhe!“
Raoul nickte.
„Mann, so ein Scheiß. Du musst was dagegen unternehmen. Es gibt nichts schlimmeres, als dieses zermürbende Gefühl, eine Geschichte in sich zu haben, tief eingepackt, verschnürt wie ein Packet. Und das schreckliche ist, man kommt nicht dran. Irgendetwas hindert dich sie rauszulassen, aufs Papier fließen zu lassen und einfach niederzuschreiben. Diese vielzitierten Schreibblockaden.“
„Naja, Moment. Eine richtige Schreibblockade kann man das jetzt nicht nennen, verstehst du? Ich könnte ja prinzipiell, wenn nur dieses bekloppte Scheißmonstrum mir nicht den Tag und auch die Nacht zur leibhaftigen Hölle machen würde.“
„Es ist sozusagen eine von außen eingeführte Schreibblockade.“
Raoul hatte es erfasst!!!
„Der Vogel hindert dich am Schreiben. Durch sein Geschrei ist es dir quasi nicht möglich die Geschichte frei zu lassen.“
„Richtig. Ich kann überhaupt nichts dafür. Es liegt einfach nicht an mir. Ich weiß, daß es künstlerische Depressionen gibt, Durchhänger oder so. Aber das hat damit nichts zu tun. Ich bin einfach nur sehr senibel, was, sagen wir mal, die Umgebung und die Umstände angeht, in denen ich schreiben kann.“
„Ja, verstehe.“
„Solange das Mistvieh in seinem Käfig hockt, kann ich unmöglich zur Feder greifen.“
„Sag das noch mal.“
„Na, wenn der Vogel da weiter bleibt, kann ich unmöglich schreiben. Basta.“
„Merkst du was? Der Vogel ist eingesperrt und deine Geschichte auch.“
„Nun ja,...“
„Mann, das kann man sich ja gar nicht ausdenken. Du, der Schriftsteller hat die Geschichte in sich, doch sie kommt nicht raus. Sie will, aber sie kann nicht. Und der Vogel schreit, auch er will raus, aber er kann nicht! Ist der Vogel raus, kann auch die Geschichte raus, bleibt der Vogel drin, bleibt das auch die Story. Genial!!!“
Raoul hatte meinen Hemdsärmel gegriffen und so fest daran gezogen, daß ich schon Angst bekam die Naht würde reißen. Danach wühlte er hektisch in seinen Taschen, zückte dann schleißlich Block und Bleistift, nahm noch einen tiefen Zug aus der Zigarette und fing an zu schreiben.
Ich nehme an, es hatte etwas mit dem eben gesagten zu tun.
Ich war fasziniert. Raoul nutzte seinen Block.
Nachdem er seinen Geist ergossen und ein Glas Champagner durch seine Kehle hatte fließen lassen, wurde ich von nun an sein „allerbester Freund“.
Ganz erregt von seinem Adrenalinstoß wurde er geselliger als sonst und stellte mich hier und dort vor, immer als ein „auch dem harten Los der Schriftstellerei trotzender Kollege“, ich schüttelte Hände und wurde mit großen Interesse aufgenommen.
Wenn Raoul nur geahnt hätte, dass mit der Freilassung des Vogels, die Geschichte leider nicht frei, sondern aufgeflogen wäre.
An diesem Abend kam dann auch Mia mit ins Spiel.
Sie war eine von diesen hippen, zierlichen Mädchen, mit ultrakurzem Pony, den sie immer elegant zur Seite strich, der Rock saß bei ihr Hüfttief und war auch nicht viel länger. Selbstverständlich war sie sehr belesen, kannte sich gut in der angesagten Literatur aus und fotografierte gerne.
Das ich Schriftsteller war, fand sie dann auch unheimlich spannend, doch ich musste ihre Frage verneinen, sie habe wohl kaum schon etwas von mir gelesen. Auf dieses Stichwort hin, legte Raoul seinen Arm um mich und meinte viel sagend „sobald der Vogel fliegt, ist die Geschichte frei.“
Mia nickte verstehend und Raoul wandte sich wieder seinem anderen Gesprächspartner zu.
Mich auf eine dramatische Erklärung vorbereitend, lies Mia mit der obligatorischen Frage auf sich warten und meinte nur: „er ist so poetisch.“
Hatte ich eben noch geglaubt, Raoul hätte mir einen Ball zugeworfen, den ich an Mia weiterspielen könne, fiel mir nun ein, dass er des öfteren seine literarischen Ergüsse an Freunde verteilte und Mia hatte den ein oder anderen bestimmt auch schon gelesen.
Es machte mich ein wenig wütend, dass sein Ansehen anstatt dem meinen stieg. Und das nicht zuletzt auf meine Kosten. Ich war doch der Leidende – nicht er. Ich hing verzweifelt über meinen weißen Blättern und musste mich in den Wahnsinn treiben lassen. Diese Geschichte war mir!
„Oh“, sagte ich, „das hatte eben ausnahmsweise nichts mit seinem Schreiben zu tun. Es geht da um eine Geschichte, die ich ihm vorhin erzählt habe.“
„Ach so, das hast du also geschrieben?“
„Nun ja, nicht direkt, vielmehr geht es darum, wie Raoul schon sagte, meine Geschichte frei zu lassen...“
Als ich etwas später dann auch den letzten Tropfen Selbstmitleid ausgequetscht und auf Mia geträufelt hatte, die unter diesem Erguss (gemischt mit Schampus) ganz benommen wurde, kam ich spürbar meinem nun ausgesteckten Ziel näher.
Verständnisvoll flötete sie mich an, mit der Kunst sei das eben so eine Sache, da könne man nicht, wie in anderen Berufen, eben mal von neun bis sechs arbeiten, das sei eben etwas anderes.
Ich trank viel, bemerkte, dass ich ihr irgendwann nicht mehr nur in die Augen starrte.
Ihr Mund war so rund und breit, dass ich mich zwang an Baumfällarbeiten zu denken und als das zu schmerzhaft wurde, an die Queen.
Um peinlichen Zwischenfällen gleich im Voraus aus dem Weg zu gehen, ermahnte ich mich auch den Rest ihres Körpers eisern zu ignorieren, da meine schriftstellerische Depression mich zu einer langen abstinenten Phase gezwungen hatte.
Später wurden uns die Räume der Vernissage zu eng und während eines Gespräches über Lebenstraumverwirklichung gingen wir am Fluss spazieren.
Der Zufall trieb uns in Richtung meiner Wohnung.
Und der Zufall wollte es auch, dass sie Auster mochte und ich drei Bücher von ihm besaß.
Die Nacht und der nächste Tag erbrachten mir allerhand sportliche Betätigung und als wir Hunger bekamen, standen wir auf, duschten lange und danach öffnete Mia in Höschen und Hemdchen das Fenster.
„Pija!“
„Oh Gott, das ist ja wirklich schrecklich.“ Mia hatte sich umgedreht und schaute mich entgeistert an.
„Hast Du's mir nicht geglaubt?“
„Doch, aber so was kann man sich ja gar nicht vorstellen.“
Es ging also auf. Der Vogel war tatsächlich so laut, dass ich wirklich nicht hätte schreiben können.
„Ach herrje, du Armer.“
Ich war ihr gescheiterter Held.
Von nun an bestanden meine Tage aus langem Schlafen, ausgiebigem Frühstücken im Bett, einem erfüllten Liebesleben und reichlichen Streicheleinheiten meiner leidenden, literarischen Seele.
Dann und wann ging ich mit Mia auf Studentenparties, und lies mich von jungen Literaturwissenschaftlern umringen, die schlußendlich alle darauf brannten meinen ersten Roman zu lesen.
Ich traf mich mit Raoul und seinen Freunden zum literarischen Austausch, wir lasen uns gegenseitig eigene Werke und die großer Literaten vor, und zuguterletzt erörterte ich mit allen die Frage, wie ich mich aus meiner aussichtslosen Situation wieder befreien könnte.
Kurz gesagt: ich aalte mich regelrecht in meiner Rolle.
Das Schlimme war, dass ich mir zum einen Teil die Geschichte selbst glaubte. Was mich stutzen lies, war lediglich die Tatsache, dass ich mich immer besser fühlte. Vorbei war die Depression und zwar nicht, weil ich schrieb, sondern weil ich es gar nicht erst versuchte.
Langsam ahnte ich, dass bald, wenn nicht schon jetzt, mein ganzes Leben auf einer Lüge aufgebaut sein würde. Und das Gerüst bestand nur aus einem Schrei, einem einzigen, immer wiederkehrenden Schrei, der ständig lauter wurde.
Hatte ich zu Anfang noch geglaubt, schreiben sei das, was ich wirklich gerne ausüben würde, wenn ich es nur könnte, so begriff ich nun, dass es viel mehr ein Status und Aushängeschild war. Mir kam es in etwa so vor, als führe ich einen gestohlenen Bentley um den Block und reiße die Mädels auf.
Die größte Schande war jedoch, dass es mir reichte. Ich hatte den Erfolg, ohne viel dafür zu tun. Ich genoss das Ansehen einer, durch dramatische Umstände in ihrer Berufung verhinderten Existenz, die jedem Leid tat, der jeder Respekt zollte und was mir persönlich besonders am Herzen lag, von der jeder glaubte, sie sei Schriftsteller.
Das war es, was ich wirklich wollte. Das die Leute es glaubten. Hatte ich mir früher noch selber vorgemacht, ich könne Spaß an dieser Tätigkeit haben, so erschloss sich mir nun die Tatsache, dass Früchte ernten alles war, was ich wollte. Am säen und gedeihen lag mir nicht das geringste.
Im Prinzip war es noch mehr, ging es noch eine Stufe weiter.
Ich erntete Früchte, die niemals gewachsen, die gar nicht existent und lies alle im glauben, ich besäße Samen, die zu säen mir verwehrt.
Dieses Paradoxon umkreiste mich immer schneller. Ich befand mich auf der Spitze meines Tempels, welcher auf kreischenden Säulen thronte. Sie trugen die Lüge namens Schriftsteller und jeden Tag wurde der Tempel höher und Prachtzimmer wie Respekt, Mitleid, Mia, Gesellschaft kamen hinzu.
Leider erkannte ich zu spät, daß Mia zwar zierlich, ihr Gewicht jedoch schwer auf den Säulen lastete.
Ich saß bei weit geöffnetem Fenster auf meinem Schreibtisch, die Arme in den Nacken gelegt, Beine weit ausgestreckt und lies mir die Sonne auf mein Gesicht scheinen. Ab und an durchbrach ein kleiner Schrei den sonst ruhigen Frühlingsnachmittag.
Dann klingelte es. Ich sprang vom Tisch, schloß das Fenster, ging zur Tür und öffnete.
Mia kam mir mit einem gewinnenden Lachen entgegen.
„Vielleicht versuchst du es mal damit“, sagte sie und wechselte das Katzenkörbchen, dass sie mitgebracht hatte von ihrer rechten in die linke Hand um es mir vor mein Gesicht zu halten.
Angsterfüllt witterte ich meinen nahenden Untergang im dunklen Inneren.
„Genial...?“
Kleine Lachfältchen kreuselten sich um ihre tiefblauen Augen.
„Ich dachte, ich helfe Oma mal ein wenig auf die Sprünge. Wenn sie ihren piepsenden Schatz behalten will, sollte sie vielleicht dafür sorgen, dass du wieder schreiben kannst.“
Sie könnte die Säulen zum Einstürzen bringen. Das Katzenkörbchen, daß sie gerade darauf abzustellen im Begriff war, wog tonnenschwer.
„Ich habe ihn Black getauft.“
Sie stellte das Körbchen ab und öffnete das Gitter. Ein leises „Miau“ ertönte aus dem Inneren. Sie kniete sich davor und ich sah, wie ihr Rock sich über die Rundungen ihres Po’s spannte.
Sie griff tief in den Käfig und zerrte, fest am Nacken gegriffen, ein kleines dunkles Kätzchen heraus.
„Miau.“
„Er muss ihn ja nicht gleich fressen, aber vielleicht bekommt Oma Angst und stellt den Käfig vom Fenster weg.“
Sie drehte sich zu mir, Black sanft an die Brust gedrückt und lächelte mich an.
„Miau.“
„Und wenn er ihn frisst, kann man eben nichts machen. Dann bekommt Oma eine Schildkröte oder so.“
„Miau.“
Ich kniete mich zu ihr runter, streichelte Black hinter den Ohren, setzte ihn dann sanft auf den Boden und sah Mia mit verschwörerischem Lächeln ins Gesicht.
„Ich wusste gar nicht, dass du so makaber sein kannst.“
Was blieb mir anderes übrig, als mitzuspielen. Meine Sabotage gegen mich selbst hatte nicht funktioniert, so wollte ich es doch wenigstens bis zum Ende auskosten.
Sie lachte und legte ihre Arme um meinen Hals, „ich bin nicht makaber, ich will nur, dass du wieder schreiben kannst.“
Ich schüttelte den in mir hochkommenden Kälteschauer ab, lächelte, nahm ihr Gesicht in meine Hände und konzentrierte mich nun ausschließlich auf ihren Mund.
Als ich fünf Minuten später im Begriff war, ihren Rock nach oben zu schieben, stieg mir ein beißender Geruch in die Nase.
Black hatte in die Ecke gepisst und auch ein Häufchen hinterlassen.
Ich stehe vor meinem Fenster und bleierne Stille umgibt mich.
Totenstille.
Noch nie ist es in mir so lautlos gewesen.
Nachdem die sanften Geräusche des Nachmittags jäh durch lautes Gekreische und Gefauche durchbrochen worden waren, folgte nun die Stille.
Grabesstille.
Mia hatte gewonnen. Sie hatte sich lauthals mit Oma gestritten und von nun an wird der Vogel woanders stehen.
Ich sehe Mia, in ihrem kurzen Rock, Black auf dem Arm haltend, am Fenster stehen, dort wo eben noch der Vogel stand, und mir zuwinken.
Ich winke zurück.
Winke, winke.
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